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Svendborg

Hans Klüche hat in Svendborg auf der dänischen Insel Fünen eine ungewöhnliche Theateraufführung erlebt, unsichtbar inszeniert als »dramatisierte Audio-Erzählung« – gehen Sie doch einmal mit ihm.

Den Sund herunter kommen die Fähren …


Text & Fotos: Hans Klüche

Ein Mann sitzt auf einer Bank am Ufer und schaut der Ærø–Fähre zu, die gerade den Svendborg Sund herunter kommt. Hätte er statt seinem Strohhut eine Schiebermütze auf dem Kopf und würde Zigarre rauchen, wäre es die perfekte Fortsetzung jenes ungewöhnlichen Theaterstücks des BaggårdTeatret aus Svendborg, dessen virtueller Vorhang gerade für mich gefallen ist. Der Audiowalk hat mich am Sund entlang bis hier heraus geführt und dabei herrlich unterhalten. Theater als Wanderführer von einer GPS gesteuerten App ins Ohr geflüstert.

Nur wenige Schritte zurück liegt das schmucke Fachwerkhaus, in dem Bertolt Brecht mit seiner Familie die dänischen Exil-Jahre verlebte. »Geflüchtet unter das dänische Strohdach, Freunde, verfolge ich euren Kampf …« schreibt er als Einleitung für die Gedichtsammlung, die den Namen der Stadt trägt. Unten am Ufer, wo der Mann mit dem Strohhut sitzt, wird viele Male am Tag eine andere Zeile aus den Svendborger Gedichten real: »Den Sund herunter kommen die Fähren…«, heißt es in ›Zufluchtsstätte‹.

Brecht ist nicht alleinige Hauptperson, spielt in diesem Stück aber eine gewichtige Rolle. Immerhin ist der Titel ›Die Stille der Sunde‹ eine Zeile aus seinen Gedanken ›Über die Bezeichnung Emigranten‹: »Ach, die Stille der Sunde täuscht uns nicht! Wir hören die Schreie aus ihren Lagern bis hierher…«. Svendborg war von 1933 bis zum Einmarsch der Wehrmacht in Dänemark bekanntes Fluchtziel Literaturschaffender aus Deutschland. Karin Michaëlis, die man bei diesem Spaziergang näher kennenlernt, nahm viele in ihrem Haus auf der Insel Thurø am anderen Ende von Svendborg auf. Auch Brecht wohnte mit seiner Familie zuerst bei ihr.

Tourstart am Hafen


Aber ich gehe jetzt einfach mal am Hafen von Svendborg los. Hafen heißt in dieser Stadt mittendrin, eingerahmt von Kneipen, Clubs und der alten Werftinsel Frederiksø, die immer mehr zum Lifestyle-Hotspot wird. Start ist vor der Touristeninformation im Maritimt Center am geschäftigen Anleger der Fähren ins südfünische Inselmeer. Træskibsbroen, der Steg der Holzschiffe, vor dem alten, gelb getünchten Speicher auf der anderen Straßenseite, ist das erste Ziel.

Wer auf die Tour geht, soll nicht nur Zuhörer sein, sondern Aufgaben übernehmen als Regisseur, Schauspieler, Bühnenbildner eines eigenen Theaters im Kopf, verrät der Erzähler das Ansinnen der Theatermacher und fordert immer wieder, sich in Szenen hinein zu versetzen. Erzähler ist in der deutschen Version der aus Filmen und TV-Serien wie Game of Thrones bekannte Tom Wlaschiha, in der dänischen und englischen Version liest Weltstar Lars Mikkelsen diesen Part.

Brecht ist nicht alleinige Hauptperson, spielt in diesem Stück aber eine gewichtige Rolle. Immerhin ist der Titel ›Die Stille der Sunde‹ eine Zeile aus seinen Gedanken ›Über die Bezeichnung Emigranten‹: »Ach, die Stille der Sunde täuscht uns nicht! Wir hören die Schreie aus ihren Lagern bis hierher…«. Svendborg war von 1933 bis zum Einmarsch der Wehrmacht in Dänemark bekanntes Fluchtziel Literaturschaffender aus Deutschland. Karin Michaëlis, die man bei diesem Spaziergang näher kennenlernt, nahm viele in ihrem Haus auf der Insel Thurø am anderen Ende von Svendborg auf. Auch Brecht wohnte mit seiner Familie zuerst bei ihr.

Der Weg folgt dem Svendborg Sund immer so nah wie möglich am Wasser nach Westen, muss an einigen Stellen aber in ruhige Wohnstraßen hinter großen Meerblickvillen ausweichen, nutzt ein kurzes Stück die mächtige Sundbrücke zwischen Fünen und Tåsinge als Schatten spendendes Dach, schlängelt sich unterhalb des Friedhofs der Skt. Jørgens Kirke am Ufer entlang, verschwindet im Grün eines verwilderten Küstenabschnitts, passiert eine der Svendborger Seefahrtsschulen und endet im idyllischen Skovbovstrand-Viertel. Egal wie schmal die Pfade werden, auf dem rechten Weg zu bleiben ist leicht, denn der Erzähler beschreibt ihn detailliert, Markierungen sind reichlich und sorgfältig gesetzt und zur Not hilft die Karte in der App.

Spuren von sechs Autoren


Unterwegs treffen die ›Theaterbesucher‹ drei lebende und drei tote Autoren, die in Svendborg leben oder gelebt haben. Vor malerischen alten Fischerhütten wartet als erste die Kinder- und Jugendbuchautorin Josefine Ottesen, mit der wir an der Marina entlang bummeln. Sie spricht in der deutschen Fassung ihren Part selbst, erzählt, wie sie gerade einmal sieben Jahre alt unbemerkt unter den heimischen Esstisch kriecht. Dort schnappt sie auf, wie ihre Mutter, die drei Fluchten erlebt hat, einer Freundin von ihrer Kindheit in Budapest erzählt. Spielkameraden hatten sie mit auseinander gezogenen Armen an ein Gittertor gebunden. Juden haben doch Jesus gekreuzigt, darum sollte sie auch gekreuzigt werden. Da verinnerlicht Josefine, dass sie anders ist, jüdisch ist, immer bereit sein muss, falls wieder eine Bedrohung entstehen sollte.

Josefine übergibt den Erzählstab dem Romancier und Lyriker Mikael Josephsen, mit dem ich durch eines der Viertel der Reichen schlendere, in denen sich manifestiert, was er eigentlich verabscheut. Mikaels Leben schien in einem Sumpf aus Drogen und Alkohol schon ausgelebt, als er mit dem Schreiben einen Neustart schaffte – sein Beitrag würde gut zu einem grauen Herbsttag passen. Der dritte lebende Svendborg-Autor auf der Kopfbühne spricht seinen Text auch auf Deutsch selbst. Jesper Wung-Sung und sein Zam – mit Z wie Zombie – nehmen mich in die Mitte und philosophieren über das Gehen der Menschen, während wir am Sund entlang gehen. Dann stellt Jesper seine Familie vor und löst das Rätsel des Namens: Sein Urgroßvater kam 1902 als ›Ausstellungsstück‹ aus China in den Kopenhagener Tivoli, blieb der Liebe wegen in Dänemark und gründete allen Widrigkeiten damaligen Denkens zum Trotz eine Familie. Jespers Romane, Kurzgeschichten und Kinderbücher kreisen oft um das Anderssein – als ein Wung-Sung mit Vornamen Jesper kennt er sich damit gut aus.

Wo der Weg zum Pfad wird, wechselt das unsichtbare Theaterstück ins Reich der toten Autoren. Dort treffe ich die selbstlose Flüchtlingsunterstützerin Karin Michaëlis in einer von Hecken geschützten Nische mit Sundblick. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sie in Deutschland Bestseller auf Bestseller für Erwachsene wie für Kinder. Als der Erzähler sie als ältere, etwas voluminöse Dame vorstellt, die vor Kaffee und Kuchen sitzt, fällt sie ihm ins Wort: »Papperlapapp, ich trinke Whisky und ich rauche Zigaretten, tut mir leid wenn ich dein schönes Bild von Kaffee und Kuchen und der älteren Dame stören muss …« Karin liebte ein freizügiges Leben und anderen zu helfen. Später erzählt sie noch stolz, dass sie Brecht zur Figur der gutherzigen Shen Te in seinem Schauspiel »Der gute Mensch von Sezuan« inspirierte.

Apropos Kuchen: Weil gerade Kaffeezeit ist, mache ich im STELLA MARIS einen kurzen Stopp. In den 1930er-Jahren war das jetzige Luxushotel ein christlich geführtes Sommerpensionat, in dem Brechts langjährige Co-Autorin, Lektorin, Agentin und Geliebte Margarete Steffin oft Quartier nahm und dort mit Brecht arbeitete. Der Audiowalk schlängelt sich derweil an einer Neubau-Siedlung mit flachen Reihenhäusern entlang, Kulisse für Tom Kristensen. 1930 zeigte sein bekanntester ›Roman einer Zerstörung‹ ihn als intensiven Beobachter anderer Menschen. Er will dies bei der Tour nutzen und mit den Zuhörern erkunden, was sich wohl in den Häusern abspielt? Und dann liest er ihnen noch ein Gedicht über das ›Gras‹ vor – vielleicht das Gras, an dem ich gerade vorbeigehe?    

Schließlich endet die Tour am Brechthaus, heute Künstlerrefugium und nicht zugänglich. Aber wenn man fast schon am Grundstück vorbeigegangen ist, steht für Gäste des unsichtbaren Theaters versteckt hinter einer Hecke eine ganz reale Bank. Bevor der Vorhang endgültig fällt, gibt der Erzähler einen letzten Auftrag: Schaut unter der Sitzfläche nach. Darin findet sich sorgfältig verpackt ein liebevoll in Leder gebundenes Gästebuch, voller Lob anderer kulturwandernder Theaterbesucher. Lob, dem ich mich begeistert anschließe.

Touristeninformation: Visit Svendborg im Maritimt Center, Havnepladsen 2, 5700 Svendborg, Tel. 62 23 32 50, Audiowalk: Alles zur BaggårdTeatret App und dem In-App Kauf der Tour ›Die Stille der Sunde
Länge des Audiowalk: ca.6 km/2,5 Std. Teilweise unbefestigte, schmale Pfade und Treppen. GPS Verknüpfung startet präzise jeden »Akt«, manuelle Bedienung inkl. Vor-/Zurückspulen optional. Zurück in die Innenstadt kommt man mit dem Taxi oder Stadtbus (kurze Verkehrszeiten vor allem am Wochenende!). Alternativ kann man auch gut zu Fuß wieder am Sund entlang gehen, was neue Blickwinkel offenbart.

Über den Autor

NORDIS Redaktion

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