Norwegen Städtetrips

Durch die Straßen von Gamlebyen in Fredrikstad – wenn Geschichte lebendige Gegenwart ist

Die Festungsstadt Gamlebyen gehört zu Norwegens beliebtesten Touristenattraktionen. Fredrikstads historischer Stadtteil im Südosten des Oslofjords ist nicht nur herausragend gut erhalten, er steckt auch voller Leben. Bis heute sind die farbenfrohen Holzhäuser entweder bewohnt oder werden erwerbsmäßig genutzt. Der Mix aus verschiedenen Butiken, Galerien, Museen, Flohmärkten und Cafés lockt Touristen und Einheimische gleichermaßen an. Der Bummel in der Altstadt gehört zu einer beliebten Freizeitbeschäftigung der Fredrikstader. Zu jeder Jahreszeit.

Willkommen in Fredrikstad!

Es ist ein strahlender Sonnentag, als ich als Neubürger Fredrikstads zum ersten Mal ohne meine Familie auf einer der Stadtfähren stehe und mit großen Augen alle Eindrücke in mich aufsauge. Sanft schaukelnde Schiffe, Gebäude unterschiedlichster Architektur, eine schwimmende Kathedrale mit buntem Dach und das herrlichste Blau der Welt. Letzteres findet man nur in Skandinavien. Und dort im Überfluss.

Der alte Mann neben mir spricht mich auf Englisch an. Ob ich denn zum ersten Mal in Fredrikstad sei? Er zeigt auf mein Handy, mit dem ich unzählige Fotos geknipst habe. Als ich ihm auf Dänisch antworte, leuchten seine Augen und er wechselt ins Norwegische. Erneut freue ich mich über die Tatsache, dass eine skandinavische Sprache es ermöglicht, sich in verschiedenen Ländern zu unterhalten. Mein Vorhaben,  von Endstelle zu Endstelle und dann wieder zurückzufahren, um möglichst alles auf einmal sehen zu können, amüsiert ihn.

Spar dir das doch für ein anderes Mal auf. Fahr zur Gamleby! Es ist ein herrlicher Tag heute!

Meine Erklärung, dass ich eben kein Tourist, sondern ein Einwanderer und außerdem schon mehrfach dort gewesen sei, kommentiert er mit der erneuten Aufforderung, zur Altstadt zu fahren. Er schwärmt in den höchsten Tönen von Fredrikstads prächtigstem Viertel. Ich muss mich anstrengen, seinem zunehmend schneller werdendem Norwegisch zu folgen. Als das Schiff wieder bei der Kathedrale der Hoffnung anlegt, schenkt er mir ein herzliches Lächeln und verabschiedet sich mit „Willkommen in Fredrikstad!“ von mir. Ich freue mich über sein recht unnorwegisches Verhalten, Fremde anzusprechen, ändere meine Pläne und winke ihm zum Abschied zu.

Gamlebyen Fredrikstad – eine Stadt wie aus einem Bilderbuch

Leise bewegt sich das Schiff durch die zunehmend starke Strömung der Glomma bei Isegran. Die kleine Halbinsel, auf der sich unter anderem Reste eines alten Rundforts und ein Kulturzentrum befinden, teilt den längsten Fluss Norwegens in Østerelva und Vesterelva. Sie zu besuchen nehme ich mir für einen anderen Tag vor. Erstaunlich schnell nähert sich die Fähre den dicken Mauern der Gamleby, wo neue Fahrgäste auf unser Anlegen warten.  

Ich gehe entlang der alten Stadtmauer und schlage die Geschichte der Stadt nach.  Fredrikstad hat seinen Ursprung im Jahr 1567. Nachdem Norwegens drittälteste Stadt Sarpsborg im Nordischen Krieg abgebrannt war, veranlasste König Frederik II die Gründung Fredrikstads an der Mündung des Flusses Glomma. Von Anfang an sollte die erste Stadt Norwegens, die den Namen eines Königs trägt, eine den schwedischen Feind abschreckende Festungsanlage sein, und gleichzeitig hervorragende Lebensqualität für seine Bewohner bieten. Heute ist Gamlebyen in Fredrikstad die am besten erhaltene Festungsstadt Nordeuropas und eine Stadt wie aus einem Bilderbuch. Ich freue mich auf die Atmosphäre vor einer prächtigen Kulisse, von der der alte Mann so geschwärmt hat. Ohne drängelnde Kinder treffe ich in einem Stadtteil, der einem Museum gleicht, auf Geschichte, Kultur und Lebensgenuss. Die Menschen grüßen und plaudern miteinander – auch mit Fremden.

Der Graben um die Gamleby ist sternförmig angelegt
Lebendige Atmosphäre

Da ich an einem Arbeitstag in der Stadt bin, begegne ich nur wenigen Menschen. An den Wochenenden zieht es üblicherweise viele Einheimische in die Altstadt, die weit mehr als nur kulinarischen Genuss zu bieten hat. Gamlebyen lebt! Und zwar in jeder Jahreszeit: Retro, Kunst und Kultur laden zum gemütlichen Bummel und zum Verbleib ein. Im Kunsthandwerkszentrum kann man den Töpfern, Glasbläsern oder Goldschmieden bei der Arbeit zusehen. Beim Spielplatz können Kinder Enten bewundern oder die eingezäunten Ziegen streicheln. Und wem das Ganze zu lebhaft ist, der kann sich mit einem Buch aus der Telefonzelle auf eine ruhige Bank auf dem Wall zurückziehen. Werden im Sommer auf dem großen Platz Flohmärkte abgehalten, so verleihen Tausende an Lichtern und Kerzen den winterlichen Straßen koselige Weihnachtsstimmung. Im Garten des Kulturhuset werden Livekonzerte veranstaltet und ab Ostern bahnt sich eine kleine Bimmelbahn ihren Weg durch Hühner, Hunde und freundliche Menschen.

Richtig gelesen. In der Altstadt laufen Hühner frei herum.

Was vielleicht grotesk anmutet, passt genau zum Bild der Stadt. Hier vereint sich eine 450-jährige Geschichte mit der Gegenwart. Hielt man in der Vergangenheit noch Vieh zur Eigenversorgung, legen heute viele Besucher mit der Elektrofähre bei der Stadtmauer an. Fredrikstad unterhält mehrere Fährschiffe, mit denen man gratis verschiedene Stadtteile anfahren kann.

Was sollte man gesehen haben?

Alles!

Auch auf diesem Bummel fällt es mir schwer, die „besten Sehenswürdigkeiten in Gamlebyen Fredrikstad“ auszumachen. Der gesamte Stadtteil ist sehenswert. Sogar die Wassergräben sehen von oben betrachtet wie eine Krone aus. Hier ist Raum für jeden Geschmack.

Hinter den großen Wällen, auf denen noch immer schwarze Kanonen mit roten Rädern stehen, liegt eine farbenfrohe Altstadt mit grobem Kopfsteinpflaster, großen Plätzen und beeindruckenden Gebäuden.

Ich freue mich über die Tatsache, dass ich in der historischen Altstadt auf keine der großen Bekleidungsketten treffe, die scheinbar in jedem Stadtkern Europas anzutreffen sind. Hier gibt es teilweise schrullig anmutende Nischenläden. In den liebevoll gestalteten Butiken ist Raum für Retro, Ramsch, Handwerk, norwegisches Design und jede Menge Stil.

Als mich an den schönen Eindrücken sattgesehen habe, beschließe ich, den einladenden Lichtern aus den Fenstern bei der Bastion 5 zu folgen. Ich lande ich weg in einer gemütlichen Ecke im Café Magenta und bestelle erneut die „weltbesten“ Waffeln, für die es stadtbekannt ist. Ich tauche in die norwegische Version von Hygge ein und verliere mich in ihr. Und dann stelle ich fest, dass ich dem willkommen heißenden Charme von Gamlebyen längst erlegen bin. Willkommen in Fredrikstad. 

Advent in Gamlebyen

Text & Bilder: © Marion & Alexander Sorg || Meermond

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Über den Autor

Meermond

Hej! Wir sind Marion und Alexander Sorg und leben seit 2014 mit unseren Kindern in Skandinavien: Nach sieben Jahren an der Spitze von Dänemark sind wir an die südnorwegische Schärenküste gezogen. Als Auswanderer sammeln wir nicht nur skandinavische Alltagserfahrungen, sondern auch unzählige Reise- und Kulturerlebnisse in gleich drei Ländern. Schließlich liegt Schweden in unmittelbarer Nähe. Unsere Eindrücke und Einblicke teilen wir mit unseren Lesern auf Meermond.

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