Titelbild: Blick in den Ausstellungsraum, © Theresa Kohlbeck Jakobsen.
Kürzlich zeigte die Nationalgalerie der Färöer Listasavn eine spannende Gruppenausstellung rund um den menschlichen Körper. Mit Hilfe unterschiedlicher Materialien, Zugängen und thematischen Schwerpunktsetzungen gehen siebzehn färöische Künstler und Künstlerinnen der Frage nach, wie sich Körperlichkeit künstlerisch darstellen lässt.
Elin Josefina Smith, Flipparabarnið, Flóttalegubarnið, Skógarbarnið, Suggubarnið, 2013, © Theresa Kohlbeck Jakobsen.
Als Menschen haben wir alle einen Körper, und um uns herum bewegen sich jeden Tag die vielen unterschiedlichen Körper anderer Menschen. Gleichzeitig konsumieren die meisten von uns bildliche Medien, in denen Körper gezeigt und inszeniert werden. Diese Inszenierung ist mit Zuschreibungen verbunden, die uns mit unterschiedlichsten Idealvorstellungen konfrontieren. In den meisten Auseinandersetzungen geht es dabei in irgendeiner Art und Weise um Fragen nach Geschlecht, Gesundheit und Schönheit. Darin inbegriffen sind Themen wie das Altern, Sexualität oder die Fortpflanzung.
Detailaufnahme von Jón Sonni Jensen, Ohne Titel, 2011, Listasavn, Tórshavn, Färöer.
Die Sonderausstellung LIKAM (Körper) begann mit der Frage danach, wie der Körper spezifisch in der färöischen Kunst dargestellt wird. Der Großteil der Werke stammte von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern. Die Ausstellung war in vier Abschnitte gegliedert: Unsere Körper, das körperliche Gefährt, der beobachtete Körper, die Glyptothek.
Detailaufnahme von Ole Wich, Sár, 2024, © Theresa Kohlbeck Jakobsen.
Der Austellungssteil mit dem Titel Unsere Körper befand sich auf dem Balkon des Anbaus der Nationalgalerie und bildete somit den Beginn der Ausstellung. Die verbindende Thematik der hier ausgestellten Werke war der weibliche Körper sowie Schwangerschaft und Mutterschaft, die in der Metapher des Frühlings im Begleittext aufgegriffen wurden. Beim Betreten des Balkons durch die Glastür des Foyers fiel der Blick zunächst auf zwei miteinander interagierende Kunstwerke – zum einen ein handgeschriebener Auszug aus Rannvá Holm Mortensens Gedichtband Vármjólk (Frühlingsmilch), zum anderen die einer Brust ähnelnde Textilskulptur Mjólkaevangeliið (Melkevangelium) aus rosarotem gewobenem Stoff. Die Künstlerin konstruiert besonders in ihrem Text eine Parallele zwischen dem weiblichen Zyklus und den Jahreszeiten. Mit ihrer Installation möchte sie die lebensspendende Kraft des Frauenkörpers zelebrieren.
Hier ein kleiner Auszug aus dem Gedicht:
Ich rieche Leben
Ich rieche Leben in vielen Schichten
Ich rieche Milch
Milch, die aus Augenhöhlen rinnt
Endlos wie der Ozean
Abgetrennte Brüste und Fingerkuppen
Schweben in Wellen aus Milch
Die Sonne
Die leuchtende Brust des Universums
Das schlichte Gesicht Gottes
Rannvá Holm Mortensen, Vármjólk & Mjólkaevangeliið. © Theresa Kohlbeck Jakobsen.
Die vier großen Acryl-Gemälde von Elin Josefina Smith zeigen vier gebärende Frauen. Mit rohen Pinselstrichen fängt sie die Brutalität einer Geburt ein. Die Bilder sind Schnappschüsse unterschiedlicher Lebensumstände, in die Kinder hineingeboren werden können. Die Titel lauten: Flipparabarnið (Rebelenkind), Flóttalegubarnið (Flüchtlingskind), Skógarbarnið (Waldkind), Suggubarnið (Deponiekind). Die Darstellung des Geburtsvorgangs ist in der färöischen Kunst nicht sehr verbreitet und damit ein Alleinstellungsmerkmal der Künstlerin, die selbst auf Grund einer Infektion ungewollt kinderlos ist.
Detailaufnahme aus Elin Josefina Smith, Flóttalegubarnið, 2013, Listasavn, Tórshavn, Färöer.
Zwei weitere Künstlerinnen haben zum Thema Geburt und Schwangerschaft beigetragen: Sigrun Gunnarsdóttir und Guðrið Poulsen. Letztere ist eine bekannte färöische Keramikkünstlerin. Ihre Skulptur Karyatida (Karyatide) stellt eine Säule dar und ist das Modell für ein Denkmal, das die Künstlerin zum Gedenken an im Geburtsbett verstorbene Frauen entworfen hat und das in seiner vollen Form mit ca. fünf Metern Höhe im färöischen Ort Fuglafjørður steht. Eine Problematik zu der kürzlich auch ein Buch mit dem Titel Tær góvu lív (Sie gaben Leben) von Rigmor Restorff Dam erschienen ist. Sigrun Gunnarsdóttir steuerte zwei ihrer älteren Acrylmalereien bei, die sich mit der mütterlichen Liebe und mit dem ungeborenen Fötus beschäftigen. Daneben fand sich noch ein Sketch für einen Holzschnitt von Poul Horsdal aus dem Jahr 1978 mit dem Titel Mamma og barn (Mutter und Kind).
Sigrun Gunnarsdóttir, Lív & Móðurkærleiki, 1998/2008Listasavn, Tórshavn, Färöer.
Trotz eines erheblichen Rückgangs der Geburtenrate in den letzten fünf Jahren sind die Färöer immer noch eines der geburtenstärksten Länder Europas mit knapp zwei Kindern pro Frau. Folglich ist es wenig verwunderlich, dass dem Thema Schwangerschaft und Geburt so viel Raum im Rahmen der Ausstellung gegeben wurde. Wünschenswert wäre trotzdem eine noch breitere Perspektive, auch von jüngeren Frauen gewesen zu Themen wie Menstruation oder Endometriose. Da dies auf den Färöern sehr stark tabuisierte wird, finden sich jedoch leider nur wenige Künstlerinnen, die dazu arbeiten. Ein Beispiel wäre hier Mia Haldursdóttir Smith. Elin Josefina Smith greift zwar die Themen Menstruation und Wechseljahre auf, doch leider hingen die beiden Zeichnungen an der Treppenwand und wurden von Hans Pauli Olsens Monumentalwerk überschattet. Ein provokatives Werk lieferte die Künstlerin Erla Marita Askam. Ihr Acrylgemälde Kvinna við vesikummu (Frau bei der Toilettenschüssel) hinterfragt die gesellschaftlichen Ansprüche an Frauen auf plakative Weise und hätte einen zentraleren Platz in der Ausstellung verdient gehabt.
Guðrið Poulsen, Karyatida, 2023, © Theresa Kohlbeck Jakobsen.
Die Modejournalistin Deimantė Bulbenkaitė und die Kunsthistorikerin Justė Jonutytė schreiben in einem Beitrag über den kreativen Körper folgendes:
Der Körper ist nicht einfach gegeben. Insbesondere wenn er kreativ eingesetzt wird, ist er stets auch eine Aussage darüber, was er jetzt gerade bedeutet und tut. Der kreative Körper ist Materie in Aktion, die als Leinwand für eine künstlerische Aussage oder auch als Werkzeug zur Schaffung neuer Wahrnehmungsebenen dienen kann. (Übersetzt von Markus Roduner, Goethe Institut Litauen)
In Edward Fugløs fotografischem Kunstwerk Baby Bla Bla passiert genau das. Der Körper des Künstlers als Kleinkind wird zur Leinwand, auf der wortwörtlich alle möglichen Vorannahmen lesbar werden, die wir täglich auf unseren eigenen und auf die Körper Anderer projizieren.
Edward Fuglø, Baby Bla Bla, 2011, Listasavn, Tórshavn, Färöer.
Edwards Fotomontage ist Teil des Abschnitts Körperliches Gefährt, das den Körper als unser Vehikel, als die materielle Grundlage unseres Seins und unserer Handlungen auf der Welt versteht. Dabei wird der Körper in der färöischen Kunst nicht nur als eine mehr oder weniger ideale Hülle verstanden, sondern eben auch als eine politische Oberfläche. Daneben befand sich eine Arbeit der Künstlerin Annika á Lofti mit dem Titel Tár (Träne). Dieser Teil der Ausstellung befand sich in der Mitte des Ausstellungssaales, der von Arbeiten des Künstlers Hans Pauli Olsen dominiert wurde. Seine Collage aus Körperzeichnungen auf weißen Din-A4-Blättern füllt eine ganze Wand, vor der eine Sammlung aus 15 kleinen Skulpturen stand. Das Gesamtwerk der Acrylgipsfiguren und Bleistift- beziehungsweise Kohlezeichnungen trägt den Titel Syklus (Zyklus) und bezieht sich auf den Lauf des Lebens.
Hans Pauli Olsen, Syklus, 2024, Listasavn, Tórshavn, Färöer.
Ein herausragendes Kunstwerk stammt von Alda Mohr Eyðunardóttur und trägt den Titel Reyðar strípur (Rote Streifen). Die drei Videostills (Standbilder) stammen aus dem gleichnamigen Videowerk der Künstlerin und sind auf Transparentpapier gedruckt. Reyðar strípur nähert sich auf vorsichtige Weise dem gesellschaftlichen Tabu des Schwangerschaftsabbruches und fragt nach dem Recht auf den eigenen Körper. Die Bilder sind hochaktuell im Kontext der politischen Situation auf den Färöern, wo dieses Jahr ein erneuter Antrag auf eine Änderung der Gesetzeslage an der konservativen Basis im Parlament gescheitert ist. Im März dieses Jahres erschien zudem der erste färöische Sammelband Abort mit Texten von Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Fachrichtungen, die sich für das Recht auf freie und selbstbestimmte Entscheidung aussprechen. Aldas Arbeiten sind Teil des brisanten Diskurses und gleichzeitig Bestätigung dafür, dass Frauen trotz allem auch auf den Färöern einen Schwangerschaftsabbruch wählen.
Alda Mohr Eyðunardóttur, Reyðar strípur I, II, III, 2024, © Theresa Kohlbeck Jakobsen.
Im dritten Teil der Ausstellung drehte sich alles um den beobachteten Körper. Hinter den Werken standen Überlegungen zu Sexualität, Geschlecht sowie der Beherrschung des Körpers unter anderem im Rahmen der Medizin und Forschung. Die Künstler Dan Helgi í Gong, Jón Sonni Jensen und Jóhan Martin Christiansen nutzten dazu nebst anderen medialen Formen das Format der Videoinstallation. In Dan Helgis filmischen Kunstwerk erlaubte der Künstler uns einen persönlichen Einblick in seine schambehaftete Identitätssuche als queerer Mann in einer konservativen Gesellschaft. Jóhan Martin bot den Betrachtenden mit seiner Videoinstallation Speaking in Tongues eine Fahrt in eine fragmentierte Kollektiverinnerung, die auf die Hypothese des body memory anspielt. Im Video trägt die Schauspielerin Annika Johannesen eine Art Gedicht vor, das aus bekannten Songtexten, Geschichten und Ähnlichem zusammengesetzt ist.
Dan Helgi í Gong, You should Clean Yourself…, 2017, Listasavn, Tórshavn, Färöer.
Jón Sonni Jensen zeigte neben seinem Videowerk Insideout zwei weitere Arbeiten. JBI Organ – Limited edition besteht aus einer ganzen Reihe vakuumierter künstlicher Organe aus Gelflex-Gummi, die auf Augenhöhe an der Wand hingen. Daneben stand Specimen, eine Installation bestehend aus elf Medizinfläschen auf einer Plexiglasscheibe, die von unten mit einer LED-Lampe beleuchtet wurden. In den Flaschen enthalten war neben Wachs, Haaren und gefärbtem Wasser auch ein menschlicher Blinddarm. Optisch erinnerte Specimen an die Ausstellungsstücke eines Naturkundemuseums nur in futuristischer Form. Jón Sonnis möchte nach eigener Aussage mit seiner Arbeit die Grenze zwischen Ekel und Anziehung ausloten.
Jón Sonni Jensen, Specimen, 2011, Listasavn, Tórshavn, Färöer.
Mit medizinischen Referenzen arbeitete auch die Künstlerin Rannvá Kunoy. In ihrem abstrakten Gemälde nutzte sie ein besonderes reflektierendes Pigment, das je nach Lichteinfall in einer anderen Farbnuance erscheint. Bei längerem Betrachten erinnert das Werk an das Röntgenbild von Rippen. Das verwendete Material verzerrt zu dem die Perspektive so, dass es schwer wird zu beurteilen welche Formen im Vordergrund und welche im Hintergrund stehen. Daneben hing eine Fotostrecke der Künstlerin Lydia Hansen mit dem Titel Vulnerability (Verletzlichkeit).
Rannvá Kunoy, Riot, 2017, Listasavn, Tórshavn, Färöer.
Den Abschluss der Gruppenausstellung bildete ein Blick zurück auf die klassische Form der Körperdarstellung. Unter dem Titel Die Glyptothek wurde gleich auf zwei Traditionen zurückgegriffen. Zum einen auf die Idealdarstellung des Körpers griechischer Skulpturen, zum anderen darauf, dass in der Zeichenausbildung eben jene Statuen häufig als Referenzmodelle genutzt werden. Auch viele färöische Künstlerinnen und Künstler lernten so das Zeichnen während ihres Studiums in Kopenhagen. Dort steht auch die Glyptothek auf die hier Bezug genommen wurde. Das seit über 100 Jahren bestehende Museum enthält mehr als 10.000 Kunstwerke und archäologische Objekte, darunter viele Marmorskulpturen. Auch Torbjørn Olsen und Sigrun Gunnarsdóttir haben dort gezeichnet. Torbjørns lebensgroße Zeichnungen wurden im Rahmen von LIKAM das erste Mal gezeigt. Neben den Zeichnungen befand sich außerdem eine Skulptur des Künstlers Fridtjof Joensen sowie das Werk Niðurtøkan av krossinum (Herunternahme vom Kreuz) des färöischen Malers Sámal Mikines, der damit als einer der Maler der ersten Generation färöischer Künstler und Künstlerinnen, die Ausstellung gebührend abschließt.
Torbjørn Olsen, Tekningar frá Glyptotekinum, 1972–73, © Theresa Kohlbeck Jakobsen.
Die Ausstellung läuft vom 19. April bis 30. September 2024 in der Nationalgalerie der Färöer Listasavn in Tórshavn.
Quellen:
Begleitmaterial zur Ausstellung LIKAM, bereitgestellt von der Nationalgalerie Listasavn.
Deimantė Bulbenkaitė & Justė Jonutytė (2020): Der kreative Körper. In: Dossier „Körperlichkeit“, Goethe Institut Litauen.
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