In der Bucht von Lumparn ging sie einst über Bord. Mehr als ein Jahrzehnt später taucht das geheimnisvolle Fundstück am Ufer der Insel Lökskär auf – eine grüne Plastikflasche mit einer Botschaft. Wie kam sie dorthin? Dieses Rätsel lässt sich am besten im Familienurlaub mit Robinson- Crusoe-Touch lösen.
Ein Artikel aus unserem Nordis-Magazin 3/18: Text & Fotos: Geertje Marquardt
Ich stehe auf einer einsamen Insel in der Ostsee zwischen Schweden und Finnland und genieße die Stille und Weite des Nordens, als ich von lauten Rufen meiner großen Tochter aufgeschreckt werde. Sie läuft mit eiligen Schritten über die glatten Granitfelsen und scheint mir mit einer grünen Plastikflasche in der Hand in die Arme zu fliegen. Ich verstehe ihre Aufregung nicht gleich, was soll an einer grünen Plastikflasche so Ungewöhnliches sein? Ihr kleiner Bruder stellt sich neugierig auf die Zehenspitzen, als sie ganz außer Atem erzählt, dass in der Flasche ein Papier eingerollt ist.
Meine Finger sind ganz klamm vom kühlen Wind am Meer. Es dauert eine Weile, bis ich die gut verschlossene Flasche öffnen kann. Der Kleine vermutet gleich eine Schatzkarte, weil das Papier, das wir aus der Flasche fummeln, etwas schimmelig und zerknittert ist. Das Fundstück scheint geradewegs aus einem Piratenfilm entsprungen.
Malerische Umgebung
Die Kulisse dazu ist perfekt: Wir befinden uns auf einer kleinen Insel mitten im bottnischen Meerbusen. Zwischen den finnischen Ålandinseln gibt es immer mal wieder ganz kleine Erhebungen, auf denen sich nur ein einziges Häuschen befindet. Wir haben das große Glück, in diesen Tagen hier auf Lökskär Robinson Crusoe zu spielen.
Die Insel ist gerade mal fünfhundert Meter lang und dreihundert Meter breit, wir benötigen ungefähr eine Stunde, um sie wandernd einmal zu umrunden. Dabei gibt es natürlich keine Wege, sondern im Inneren der Insel dichtes Gestrüpp, Wald und Mooslichtungen und an den Ufern geschliffenen Fels.
Wir springen von einem Stein zum anderen, müssen aufpassen, dass wir auf feuchten Steinen nicht ausrutschen, die Kinder balancieren auf umgefallenen Baumstämmen. Ohne Zeitgefühl leben wir in diesen Sommertagen fast wie in dem Buch »Ferien auf Saltkrokan« von Astrid Lindgren.
Merle versucht die hellgrüne Schrift auf dem Papier zu entziffern. Das Blatt, aus einem A5 Spiralblock herausgerissen, rollt sich immer wieder zusammen. Eine Reihe von Namen und ein paar Zeilen finnischer Text und eine Postadresse. Für uns, die wir nur Deutsch, Englisch und Schwedisch können, ist kaum zu erraten, was die finnischen Worte bedeuten. »Kiitos! Tack!« – bedeutet Danke auf Finnisch und Schwedisch. Der Kleine ist ganz enttäuscht: »Nur das?« – keine Schatzkarte, doch wer weiß, was in dem finnischen Text steht.
Plötzlich entdecke ich in der Mitte des Textes ein Datum. Ich muss mich kurz besinnen, denn die Flaschenpost ist tatsächlich auf den Tag genau zwölf Jahre alt. 2005 wurde sie ins Meer geworfen. Unglaublich. Gibt es so etwas wirklich?
Hier kommen nicht viele Menschen her, wer weiß, wie lange die Flaschenpost schon am Ufer gelegen hat. Wir sind wirklich Glückpilze. Und ob das noch nicht genug wäre, hören wir auf dem Rückweg zu unserem Häuschen ein Rascheln im Laub. Es kommt von einer Äskulapnatter, die sich von ihrem Sonnenplatz zurück in ihr Versteck schlängelt. Ein Seeadler erhebt sich gleich danach aus einer Baumkrone. Für all die Tiere ist unser aufgeregtes Geplapper wahrscheinlich zu laut.
Durch die Bäume sehen wir schon unser kleines Holzhaus. Wieder werden unsere Schritte schneller, die Kinder wollen dem Papa von ihrem Fund berichten.
Urhebersuche via Internet
Dieser kann es auch kaum glauben und nutzt sofort das Internet, das wir dank Solarstrom hier haben, um den Text vom Finnischen ins Deutsche zu übersetzten. Langsam ergibt alles Sinn. Aber ob so eine Postadresse nach zwölf Jahren noch richtig ist? Die sozialen Medien sind ein idealer Forschungsparcours, um nach den genannten Familienmitgliedern in der Flaschenpost zu suchen. Wie Detektive kombinieren wir, wer mit wem befreundet ist und wer eventuell verwandt. Trotz verschiedener Nachnamen kontaktieren wir einige der Finnen über Facebook. Und es kommt prompt Antwort. Zuerst von Emmi, die Studentin in Turku ist und damals 12-jährig die Post in der grünen Flasche verfasste. Sie erinnert sich vage. Plötzlich poppt aber auch eine Antwort von Terhi, Emmis Mutter, auf. Im Chat erzählt sie in gebrochenem Englisch von dem Ereignis damals vor zwölf Jahren und holt sogleich weitere Familienmitglieder dazu. Jetzt erfahren wir die Geschichte hinter der Flaschenpost: Die Familie war damals mit Onkel Veikko und seinem Segelboot in der Bucht von Lumparn unterwegs, um Juhas 12. Geburtstag zu feiern, als die grüne Flasche über Bord ging. Die Postadresse ist natürlich nicht mehr gültig, aber sie leben alle noch in der Nähe von Turku.
Wir haben auf unserem Rückweg von den Ålandinseln die Chance, die Familie in Turku zu treffen. Nach zehn Tagen auf den Ålandinseln reisen wir mit der Fähre zurück. Es dauert fünf lange Stunden, bis wir endlich den Hafen in Naantali bei Turku erreichen. Wir vier sind mächtig aufgeregt, wem wir heute Abend begegnen werden. An der Hotelrezeption, wo wir mit Sack und Pack einchecken, tippt mich eine kleine blonde Frau von hinten an: »You must be Geertje!« Wir umarmen uns spontan und ich habe Gänsehaut und feuchte Augen. Sie hat ihren ehemaligen Ehemann Joni und ihr Patenkind Juha mitgebracht. In der kleinen gemütlichen Hotelbar gruppieren wir uns um einen runden Tisch und kommen aus dem Erzählen gar nicht mehr heraus. In einem großen traditionellen Fotoalbum sind Bilder aus dieser Zeit zu sehen. »Aktivurlaub« steht auf Finnisch als Collage gestaltet auf der ersten Seite. Gleich stellen wir fest, dass wir sehr ähnlich naturnah und aktiv unterwegs sind.
Selbst im Zeitalter der sozialen Medien und des immer verfügbaren Internets verliert eine Flaschenpost nicht an Reiz. Zusammen mit den Naturerlebnissen und der ursprünglichen Landschaft der Ålandinseln zwischen Finnland und Schweden ist das vielleicht der Beginn einer neuen Liebe zu Finnland und einer Freundschaft zwischen zwei Familien.
Die Autorin Geertje Jacob betreibt seit 2010 den Familienreiseblog www.nordicfamily.de und gibt Tipps für familienfreundliche Destinationen und Unternehmungen im Norden.
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