Wenn man von Ísafjörður kommend über die Straße 60 den Tunnel verlässt, fährt man auf den Önundarfjörður zu, einem Fjord, in dem der Ort Flateyri gelegen ist. Von der Straße 60 zweigt die Straße 64 ab, an deren Ende Flateyri nach knapp 7 Kilometern erreicht wird. Längs der Straße 64 wird einem ein einzelner Schornstein ohne weitere Gebäude auffallen, neben dem ein alter verrosteter Kessel steht. Ende des 19. Jahrhunderts errichtete der Norweger Hans Ellefsen an dieser Stelle eine Walfangstation mit dem Namen Sólbakki, die 1901 abbrannte. Der Wiederaufbau kam nur bis zum Schornstein.
Dann entschied sich Ellefsen dazu, ausschließlich von seiner zweiten Station im Mjóifjörður im Osten Islands auf Walfang zu gehen. Das verbliebene Wohnhaus schenkte er dem damaligen Minister Hannes Hafstein. Hannes ließ das Haus abbauen und in Reykjavík, westlich des Stadtteichs Tjörnin in der Tjarnargata, wiederaufbauen, wo es heute als Ráðherrabústað für Empfänge der Regierung oder Sitzungen des Ministerrats dient. Apropos Haus: Kurz nachdem man auf die Straße 64 abgebogen ist, steht auf der rechten Seite auf einer Anhöhe ein verlassenes Haus. Obwohl so verlassen ist es in den Sommermonaten nicht, denn da wird es von Schafen zum Schutz vor Sonne und Regen aufgesucht, die ungebetene Gäste mit strafenden Blicken würdigen.
Bilder & Text: Marco Asbach
Flateyri liegt, wie viele andere Orte in den Westfjorden, auf einer Sandbank. Die flache Sandbank gab dem Ort den Namen, denn dieser bedeutet „flache Sandbank“. Übrigens ist Flateyri nach Grindavík, Vík und Reykholt der vierte Ort Islands, der Namensgeber für einen Krater auf dem Planeten Mars geworden ist. Viel Platz zum Siedeln ist zwischen den steil aufragenden Berghängen und dem Wasser der Fjorde nicht gegeben. Da boten sich natürliche Sandbänke geradezu zum Siedeln an. Allerdings hat die Lage der Orte am Fuße der Steilhänge auch eine Schattenseite, und damit ist nicht der wortwörtliche Schatten gemeint, der Orte wie Ísafjörður viele Monate vom Sonnenlicht trennt.
Die Tücke dieser Lage ist die Lawinengefahr, die auch in Flateyri zu einem großen Unglück geführt hat. Am 26. Oktober 1995 donnerte in den frühen Morgenstunden eine Lawine den Berg hinab. Dabei zerstörte sie zahlreiche Häuser des Ortes und begrub 45 Menschen unter sich. 20 von ihnen konnten nicht lebend geborgen werden. An dieses traumatische Ereignis erinnert heute eine Gedenktafel auf der Wiese vor der Kirche.
Gegenüber dieser Wiese sieht man einige gleich gebaute Häuser. Diese wurden für die Menschen gebaut, die bei dem Lawinenunglück ihr Zuhause verloren hatten. Um von solch einem Unglück kein zweites Mal getroffen zu werden, wurde ein massiver Lawinenschutzwall in Form des Buchstabens A errichtet, der die Schneemassen nach links und rechts des Ortes ableiten soll. Vom Ort aus kann man durch einen kurzen Tunnel in die von dem Wall eingegrenzte Fläche spazieren, wo sich ein Spielplatz und ein paar Bänke befinden. Von dort führt ein Fußweg zu einer Aussichtsplattform auf dem Wall. Von dieser hat man einen tollen Rundumblick auf den Hafen, den Ort sowie den Fjord mit den umliegenden Bergen. Ein traumhafter Ausblick, der je nach Wetterlage ein völlig anderer sein kann.
In Flateyri herrscht oft rege Betriebsamkeit. Im Hafen landen Fischerboote, deren Fang in spezielle Kunststoffboxen umgeladen wird, die dann wenige Meter weiter in einer Fischfabrik verarbeitet werden. Gegründet wurde Flateyri Ende des 18. Jahrhunderts als Außenstelle des größeren Handelsplatzes von Þingeyri, einem einen Fjord weiter gelegenen Ortes. Aber erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde aus Flateyri ein richtiger Ort, als sich der Fischfang, insbesondere vom Grönlandhai, etablierte. Von 1889 bis 1901 spielte auch der Walfang und dessen Verarbeitung eine Rolle, die aber mit dem Brand der Walfangstation ein Ende fand. Fischfang ist auch heute noch ein Wirtschaftsfaktor, aber neben dem Tourismus und anderen Tätigkeiten nicht mehr die Haupteinnahmequelle der Bevölkerung.
Ein Besuch von Flateyri sollte immer Teil einer Reise in die Westfjorde sein. Zu idyllisch liegt der Ort auf der langen Sandbank im Fjord und ist von fast allen Seiten von Wasser umschlossen. Ausgiebige Spaziergänge bringen einen den vielen liebevollen Details näher, die überall zu finden sind. Seien es die Hinweisschilder an den Häusern in der Hafnarstræti, die zu jedem Haus Auskunft über dessen Geschichte geben. Seien es die liebevoll gepflegten Häuser und Gärten, in die man am liebsten sofort einziehen möchte. Oder seien es die unzähligen Unikate aus der Vergangenheit oder Gegenwart, die vor der Kulisse des Ortes und der Umgebung jeden Fotografen dazu animieren, unzählige Bilder zu machen. Und nicht unerwähnt bleiben darf die Kirche, deren Fenster vom isländischen Künstler Leifur Agnarsson Breiðfjörð gestaltet wurden.
Der alte Buchladen ist neben seiner Funktion als Buchladen, vor allem für Secondhand Bücher, die nach Gewicht verkauft werden, auch ein Museum, welches über die Geschichte des Ortes informiert und Einblick in das Leben in Flateyri gibt. Ebenfalls auf der Hafnarstræti zu finden ist ein internationales Puppenmuseum, das 2017 sein 15-jähriges Jubiläum gefeiert hat. Dass es dieses Museum dort gibt, ist der Deutschen Dr. Senta Siller und ihrem Mann Prof. Norbert Pintsch zu verdanken. Dr. Siller ist bekannt als „Mutter der Puppen“ und ihrer Arbeit in Entwicklungsländern, wo sie Frauen geholfen hat, Geschäfte zu gründen, die nationale Kostümpuppen herstellen. Als sie 1999 von dem Lawinenunglück in Flateyri las, erweckte dies in ihr die Idee, der Stadt sechs Koffer mit Puppen zu schenken, damit diese ein neues Museum damit gründen könnten. Gedacht, getan, und so kam Flateyri an einen ersten Grundstock an Puppen, der im Laufe der Jahre durch weitere Schenkungen erweitert wurde. Dr. Siller kommt noch immer regelmäßig vorbei. Aller guten Dinge sind drei und so befindet sich in Flateyri auf der Hafnarstræti noch ein drittes Museum, das Nonsens-Museum (Dellusafnið). Das bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen beliebte Museum ist eins für sonderbare Dinge und Sammlungen von Personen, die eine Sammler-Manie haben. Ein Beispiel ist eine unglaubliche Sammlung von mehr als 100 Polizeimützen aus aller Welt, eine Sammlung von Flugzeug-Modellen, PEZ Spendern bis hin zu einer immensen Sammlung von besonders gepackten Zuckerwürfeln und Zuckersäckchen. Wer sich gerne sportlich betätigt, kann von Flateyri aus Kajaktouren in den Fjord (2 – 2,5 Stunden) oder gar mehrtägige Touren bis in den Ísafjarðardjúp oder nach Hornstrandir unternehmen.
Mehr zu den Westfjorden und anderen Gebieten in Island in den Magazinen von ZAUBER DES NORDENS http://zauber-des-nordens.de zu lesen.
Adressen und Informationen zu Flateyri:
Bókabúðin
Geöffnet: 1. Juni – 31. August
Täglich von 11:00 – 17:00 Uhr, So. ab 14:00 Uhr
Hafnarstræti 3-5, Tel. +354 699 3936
International Doll Museum
Geöffnet: 1. Juni – 31. August
Täglich von 14:00 – 17:00 Uhr
In der übrigen Zeit jeweils am Di., Do. und So. von 14:00 – 17:00 Uhr
Hafnarstræti 4, Tel. +354 456 7710
Nonsens Museum
Geöffnet: 1. Juni – 20. August
Mo.-Fr. von 13:00 – 17:30 Uhr, Sa./So. von 13:00 – 16:00 Uhr o. n. Vereinbarung bei Valdemar
Preise: Erwachsene ab 13: 1.000 ISK, Kinder unter 12 Jahren: frei
Hafnarstræti 11 Tel. +354 893 3067
Kajakleigan Grænhöfði
Preise: 2-2,5h Kajaktour in den Fjord ab 7.000 ISK (mind. 2 Personen)
Ólafstún 7 Tel. +354 456 7762
E-Mail: kajak@simnet.is
Bryggjukaffi
Hafnarstræti 4
Buchbar über booking.com und andere Plattformen.
Café täglich geöffnet von 11.00 – 18:00 Uhr
Tel. +354 861 8976
Schlichte Unterkunft mit gepflegten Gemeinschaftsräumen und Café mit einfachen, aber sehr leckeren Gerichten.
Guesthouse Kirkjuból í BjarnardalVestfjarðarvegur
Buchbar über Booking.com und andere Plattformen. www.kirkjubol.is
E-Mail: info@kirkjubol.is
Tel. +354 456 7679
Gästehaus am inneren Ende des Önundarfjördur, nur wenige Kilometer von Flateyri entfernt.
Café in der Galerie
Hafnarstræti 11
In diesem unterhalb des Nonsens Museums gelegenen Café gibt es typisch isländische Kleinigkeiten zu essen: von belegten Broten über Flatkökur bis hin zu Kuchen und Waffeln.
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