(c) Text & Fotos: Stefanie Albrecht
Es regnet schon den ganzen Tag. Gerade waren wir noch in Hammerfest, nun setzen wir schon mit der Fähre von Olderdalen nach Lyngseidet über. Tromsø ist nicht weit entfernt, aber wir wollen nach der langen Fahrtzeit nur eines – wandern. Wir fürchten schon, dass wir uns bei strömenden Regen die Beine vertreten müssen. Unvorstellbar, dass laut Wettervorhersage schon bald klarer Himmel vor uns erstrahlen soll. Die dunkelgrauen Wolken hängen so tief, dass man nicht mal mehr den Fjord erkennen kann.
Regen oder Sonne, das ist hier die Frage
Ein paar Kilometer weiter erreichen wir den Parkplatz und vertreiben uns noch ein wenig die Zeit, um der Vorhersage doch noch eine Chance zu geben. Und tatsächlich staunen wir nicht schlecht, als absolut pünktlich die Sonne hinter den Wolken hervorlugt. Mittlerweile ist es 19 Uhr. Doch gut gestärkt, voller Optimismus und guter Laune starten wir unsere Wanderung zum Blåvatnet. Zunächst geht es durch einen kleinen Birkenwald. Als wir diesen hinter uns lassen, können wir es kaum fassen.
Es fühlt sich an, als würden wir in einem Foto eines Reiseführers für Alaska laufen. Der tiefblaue Fluss schlängelt sich durch die Landschaft, während über ihm ein riesiges, schneebedecktes Gebirgsmassiv thront. Diese Stimmung ist kaum zu greifen. Ständig bleiben wir stehen, sind fasziniert von jedem Anblick und können unser Glück kaum fassen.
Sind wir eigentlich noch in Norwegen?
Nach einer Flussüberquerung verwandelt sich der sanfte Waldboden in einen Schotter- und Kiesweg. Langsam, aber stetig geht es etwas bergauf. Das Bild wechselt von einer grün leuchtenden Landschaft in ein Meer voller Steine. Das Gebirgsmassiv, auf welches wir zulaufen, erscheint immer größer und gewaltiger. Für einen Moment schieben sich Wolken vor die Sonne und ich befürchte, wir werden den blauen See wohl doch nicht im Licht der Mitternachtssonne sehen. Wir legen einen Schritt zu, doch von Schnelligkeit kann kaum die Rede sein. Denn mittlerweile sind die Steine so riesig, dass man sie schon als Felsen bezeichnen kann. Lottis Hundepfötchen müssen ganz schön was aushalten. Ich weise ihr den Weg und ohne Murren schaut sie genau, wo ich langlaufe, um mir vorsichtig zu folgen.
Der Blåvatnet, ein blauer See zum Verlieben
Bis er plötzlich ganz unverhofft vor uns auftaucht, der Blåvatnet. Die Sonne hat die Wolken vertrieben und so strahlt der See in seinem schönsten Blau. Er macht seinem Namen alle Ehre. Ein Stück laufen wir um ihn und sind so fasziniert davon, wie klar das Wasser ist. Soweit man blicken kann, erkennt man die Steine am Grund. Eigentlich kann ich erahnen, wie schrecklich kalt das Wasser sein wird, aber dennoch kann ich es mir nicht verkneifen, eine Zehenspitze kurz hineinzuhalten. Eine Sekunde länger und mein Zeh hätte die Farbe des Sees angenommen.
So genießen wir, dick eingepackt, diese faszinierende Natur lieber von außen. Während Elke zeichnet, erkunde ich noch ein wenig die Gegend. Doch das abfließende Wasser verwandelt sich zunehmend in eine unüberwindbare Strömung. Gerade als ich zurücklaufen will, sehe ich, wie mir unsere wagemüdige Hundedame Lotti nachgelaufen kommt. Sie springt von Stein zu Stein und rutscht plötzlich ab. Festgekrallt und mit ängstlichen Blick schaut sie zu mir rüber. Ich hechte nach vorne, ziehe sie aus dem Wasser, schimpfe, während sie sich einmal schüttelt und freudig um mich herumspringt. Ach Hund.
GPS-Hündin Lotti weist uns den Rückweg
So langsam treten wir den Rückweg an, immer der Mitternachtssonne entgegen. Sie steht mittlerweile so tief, dass wir nicht wirklich viel erkennen. Doch Lotti erweist sich als perfekte GPS-Hündin. Sie führt uns ganz selbstbewusst von Steinhaufen zu Steinhaufen und zeigt uns so den Weg. Wir rätseln lange, ob sie sich den Weg eingeprägt hat oder unserer Duftspur folgt. Auf jeden Fall ist es eine ungeahnte, neu entdeckte Fähigkeit unseres Hundes. Im Licht der Mitternachtssonne wirkt die Landschaft noch einmal schöner. Ein tiefes Orange durchtränkt die Szenerie. Wir können uns gar nicht sattsehen und saugen diese unfassbar schöne Stimmung förmlich in uns auf. Der Fjord liegt ganz ruhig vor uns und eine Stille umgibt uns, die man sich nicht vorstellen kann. Lediglich das Rauschen des Flusses wird stetig lauter.
Hier müssen wir drüber?
‚Sah das vorhin auch schon so aus?‘, denke ich. Tatsächlich sind die Steine, über die wir auf dem Hinweg gelaufen sind, überspült. Der Fluss trägt sehr viel mehr Wasser als vorhin noch. Eine bessere Möglichkeit der Überquerung kann ich auf die Schnelle nicht entdecken, also beginne ich, einige Steine hineinzuwerfen. Dass ich völlig euphorisiert von unserer Wanderung bin, deswegen wohl kurz denke, ich sei Hulk, einen viel zu schweren Stein werfen will und dabei mit beiden Füßen im Wasser lande, sei natürlich nur am Rande erwähnt. Zumindest hat uns der kleine Adrenalinschub dazu gebracht, in Windeseile durch den Fluss zu laufen. Ob am Ende nass oder trocken, egal. Hauptsache drüben.
Muss der Weg denn wirklich enden
Eigentlich wollen wir gar nicht, dass der Weg jemals endet. Hinter jedem Baum eröffnet sich eine neue Sicht auf die Landschaft, die uns immer wieder in Staunen versetzt. Voller neuer Eindrücke und Stimmungen, mit großartigen Erlebnissen, immer in Begleitung der Mitternachtssonne, neigt sich diese grandiose Wanderung zum Blaåvatnet dem Ende. Bei einem Bier genießen wir noch die letzten, sanft wärmenden Strahlen der Sonne, die sich schon bald wieder auf den Weg fernab des Horizontes macht. Es war defintiv eine der besten Abenteuer unseres bisherigen Roadtrips.
Möchtet ihr noch mehr über unseren Roadtrip erfahren, dann geht es hier weiter: https://www.thenorthtraveller.de/8400-km-durch-den-norden-eine-wanderung-zum-blavatnet/
Kommentieren