Text & Bilder: © Johannes Möhler
Vom Kai am Strandvägen mitten in Stockholm geht es an Bord des Schärenboots und auf ihm hinaus in eine andere Welt, in die Stockholmer Schären. Anfangs teilt sich das kleine Schiff noch die Fahrrinne mit den großen Kreuzfahrtschiffen, Hochhäuser und riesige Öltanks sind zu sehen. Und dann verschwindet alles großstädtische Treiben in wenigen Augenblicken und wir tauchen ein in das einzigartige Schärenidyll.
Hier und da hält das Ausflugsboot an kleinen Anlegestellen, bewaldete Inseln, auf denen gemütliche Holzhäuser stehen, ziehen vorbei. Stellenweise schippern wir nur wenige Meter vom Ufer entfernt zwischen zwei Inseln hindurch. Badende Kinder springen von den Stegen, Segelboote gleiten sanft durchs Wasser, Möwen begleiten uns. Und trotz ihres Geschreis liegt über allem eine große Ruhe. Schon beim Hinausfahren spürt man, dass der Takt in den Schären ein anderer ist. Es ist eine andere Welt, eng mit der Hauptstadt verwoben und doch gefühlt ganz weit weg. Die Stockholmer Schären sind ein Sehnsuchtsort für die Stockholmer und für Touristen aus aller Welt.
Etwa 24.000 Inseln tummeln sich zwischen der Hauptstadt und dem offenen Meer. Über 150 Kilometer von Nord nach Süd und über 80 Kilometer von West nach Ost breiten sie sich aus. Manche Inseln sind über Brücken und Autofähren schnell erreichbar; zu anderen fahren Ausflugs- und Linienboote; wieder andere sind völlig einsam und unberührt.
Mit dem Schiff tuckern wir durch einen kleinen Ausschnitt dieser faszinierenden Welt, einem Paradies für Segler, Kanuten und Genießer. Kurz bevor das Meer sich öffnet, hält das Schiff ein letztes Mal, ehe es wieder kehrtmacht. Sandön ist erreicht. Die Insel verzaubert mit ihren langen, herrlichen Sandstränden und dem urgemütlichen Ort Sandhamn am Nordende der Insel. Nur wenige Menschen leben dauerhaft hier, Ferienhäuser hingegen gibt es unzählige. Auch die Familie von Schriftstellerin Viveca Sten besitzt hier seit mehr als hundert Jahren ein Haus. Jeden Sommer verbrachte und verbringt die Krimiautorin auf der Insel. Hier spielen ihre Geschichten. Hier wird gemordet.
Schon bei Mankells Krimis, die in der südschwedischen Kleinstadt Ystad spielen, besteht der Reiz darin, dass ein nettes, unschuldiges Hafenstädtchen Schauplatz kaltblütiger Taten wird. Nirgends könnte der Gegensatz zwischen traumhafter Idylle und blutigen Morden krasser sein als auf Sandön. Zu schön, zu urig, zu friedlich scheint es hier.
Im Winter kann es allerdings auch grau, stürmisch und öde sein. Doch nicht nur deswegen ist die Insel ein idealer Ort für mörderische Taten: Selbst im Sommer kann sich die Idylle schlagartig in klaustrophobische Enge verwandeln, wenn ein Mörder unterwegs ist und man nicht fort kann. Auf einer Insel kann man sich nicht verstecken, jeder kennt hier jeden. Das Meer kann Freiheit sein – oder Gefangenschaft bedeuten.
Wer in die Bücher von Viveca Sten eintaucht, begibt sich auf eine Reise in die Sehnsuchtslandschaft der Stockholmer Schären, zu einem Ort, der traumhaft ist – und sich schnell in einen Alptraum wandeln kann.
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