Am 1. April haben wir hier die Geschichte verbreitet, eine neu gewählte dänische Regierung wolle ab sofort noch nur den Bau von Basic-Ferienhäuser aus einem Modul-Baukasten erlauben. Viele haben den Aprilscherz erkannt, einige waren im Zweifel und über den »Wohncontainer« entsetzt, hätten sich das neue Gesetz aber durchaus vorstellen können, weil vor allem in neu entstehenden Ferienparks die Häuser schon länger nicht so ganz den Vorstellung vom hyggeligen Herzensland entsprechen. Ein pragmatischer Kommentar mit viel Augenzwinkern hat uns besonders gefallen: Mit dem Standardhaus wird die Ferienhaussuche vereinfacht, denn man muss nicht mehr Häuser vergleichen sondern nur noch den Ort wählen. Ganz so abwegig war die Geschichte aber nicht: Das Haus in Modul-Bauweise hat 1970 der Däne Arne Jacobsen, einer der bedeutendsten europäischen Designer und Architekten des 20. Jahrhunderts, so entwickelt.
Weltbekannt wurde Jacobsen mit Stühlen seiner 7er Serie. Deren Sitz-Lehnen-Element besteht aus einem einteiligen Stück geleimtem und in Form gepresstem Schichtholz auf dünnen Stahlrohrbeinen. Auf diesem weltweit wohl meistverkauften Designerstuhl hat bestimmt jeder schon gesessen in einer Cafeteria, in einem Restaurant, in einer Arztpraxis, in einem Konferenz- oder Seminarraum oder in den eigenen vier Wänden (wir haben sie im NORDIS Heft 03/2018 ausführlich vorgestellt). Die ersten Modelle dieses Stuhls entstanden in den 1950er Jahren, ebenso Jocobsens Sessel „Svanen“ (der Schwan) und „Ægget“ (das Ei). All diese Möbelstücke werden bis heute produziert – auf unseren Bildern aus dem Modulhaus »Kubeflex« sieht man die Sessel. Wer so einen haben möchte, muss ein gut gefülltes Portemonnaie in der Tasche haben: Svanen kostet je nach Ausstattung ca. 2300 bis 7100€, Ægget ca. 6100 bis 13.000€.
Auch wenn seine Möbel heute nicht gerade günstig sind, verstand sich Arne Jacobsen nicht als Architekt der Reichen: Mit dem Kubeflex Sommerhaus wollte er allen Dänen eine preiswerte Möglichkeit bieten, ein Sommerhaus zu erwerben. Die einzelnen Module mit gut 10 Quadratmetern Grundfläche sollten frei kombinierbar und je nach Bedarf zu ergänzen sein. Das „Grundhaus“ bestand aus einem Eltern-, einem Kinder- und einem Wohnzimmermodul sowie einem Küchen- und einem kombinierten Bad-Eingangsmodul. 1969/70 entwickelte Jacobsen den Prototypen, kurz bevor er 1971 plötzlich starb. Seine Familie übernahm das Haus und nutzte es bis 2002 in einem Ferienhausgebiet in Südseeland, dann kam es in den Besitz des Museums Trapholt und wurde auf das Museumsgelände hoch über dem Ufer des Koldingfjord umgesetzt, wo man es heute mehrmals am Tag auf Führungen besichtigen kann (s. u.). Dabei erfährt man zum Beispiel, dass die Module in der Breite genau darauf abgestimmt sind, was seinerzeit auf einem LKW transportiert werden konnte.
Jacobsens plötzlicher Tod war einer der Gründe, warum Kubeflex nicht in Serie ging, aber das Modulhaus traf auch nicht wirklich den damaligen Geschmack der Jensens, Nielsens, Madsens und Petersens – Arne Jacobsens war eben ein Visionär und seiner Zeit oft voraus. Das zeigt besonders das minimalistische Essbesteck, das man entdeckt, zieht man im Küchenmodul des Sommerhauses die Schubladen auf: Jacobsen hatte es 1957 für das von ihm als Totalentwurf – Architektur der Gebäudes und die komplette Einrichtung – geschaffene SAS Hotel Royal in Kopenhagen gestaltet. Dort wurde es nach wenigen Wochen nicht mehr eingedeckt: zu modern, zu filigran. Stanley Kubrick nutzte es dann 1968 in seinem legendären Science Fiction Film „2001: A Space Odyssey“ an Bord seines Raumschiffs Discovery One. Während der Film längst vom Titel her Vergangenheit geworden ist, wird das Arne Jacobsen Besteck bis heute produziert und wirkt immer noch wie aus einer fernen Zukunft gefallen.
Das Kubeflex Sommerhaus steht auf dem Gelände des Museum Trapholt in Kolding, knapp eine Autostunde nördlich der deutsch-dänischen Grenze bei Flensburg. Eintritt für das gesamte Museum ab 18 Jahre 130 DKK (ca. 17,50 €), Studenten 65 DKK, unter 18 Jahren gratis.
Die Ausstellung „VERNER PANTON _ FARVER EN NY VERDEN“ (Verner Panton – färbt eine neue Welt) Einige Objekte darf man sogar „benutzen“
(© Foto: Hans Klüche || #VernerPantonDesignAG)
Im Museum Trapholt läuft bis zum 14. August als Hauptausstellung »Verner Panton – färbt eine neue Welt« (wir stellten sie im NORDIS Magazin 02/2022 vor) über Leben und Wirken des Designers Verner Panton, der zu Beginn seiner Karriere Mitarbeiter von Arne Jacobsen war.
Hat man Eintritt bezahlt, sind Führungen durchs Kubeflex Sommerhaus kostenlos, nur anmelden sollte man sich gleich nach der Ankunft bei der Museums-Information, weil die Zahl der Teilnehmer pro Führung begrenzt ist. Die Führungen sind auf Dänisch, für deutschsprachige Gäste gibt es Info-Bätter.
Kolding ist mit ca. 61.000 Einwohner Dänemark siebtgrößte Stadt und hat neben dem Museum Trapholt eine weitere Weltklasse-Attraktion: Die Königspfalz Koldinghus wurde 1808 bei einem Großbrand zur Ruine und ab 1970 auf geniale Art mit Elementen moderner Architektur renoviert: Heute ist Koldinghus Museum und gehört neben den Kopenhagener Schlössern Rosenborg und Amalienborg zu den Ausstellungsgebäuden der Königlichen Sammlung des dänischen Königshauses.
Mehr über Kolding: www.visitkolding.de
Text & Bilder: © Hans Klüchle
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