Corona hat sich mittlerweile bis in die letzten Winkel der Welt ausgebreitet. Auch im Norden Norwegens hat der Virus das Leben der Menschen verändert. Aber welche Auswirkungen hat dies eigentlich für ohnehin schon isolierte Orte?
Einer der einsamsten Orte in Norwegen ist Nyksund, ein kleines Dorf, das man im Nordwesten der Insel Langøyafindet. Die Straße dorthin führt von Myre teilweise noch heute geschottert, eingeklemmt zwischen Meer und Felsen über 15 km nach Nyksund.
Man fühlt sich wie am Ende der Welt, wenn man durch das bunte Dorf mit seinen doppelstöckigen Häusern geht, das hier weit draussen näher an den Fischer-Gründen liegt. Nyksund war einst eines der größten Fischerdörfer und hatte früher fast 2.000 Einwohnern. Als die Fischerboote größer wurden und die Fangmengen kleiner, wurde der Ort verlassen und die Häuser verfielen langsam. Mitte der 80er Jahre begann man mit dem Wiederaufbau und versuchte den Charakter der Häuser zu erhalten und die Anzahl der Touristen zu begrenzen. Mittlerweile sind auch einige Norweger wieder nach Nyksund zurückgekehrt, 27 Menschen leben hier Heute wieder kontinuierlich.
Doch kommen wir zu der aktuellen Situation in Nyksund. Ich konnte Ssemjon Gerlitz für ein Gespräch gewinnen. Wir kennen uns schon seit ca. 30 Jahren aus der Zeit als Nyksund wieder aufgebaut wurde.
Guten Tag, vielen Dank, dass Du Dir Zeit für dieses Gespräch nimmst, kannst Du dich bitte kurz vorstellen?
Mein Name ist Ssemjon Gerlitz, gebürtig aus Hilden bei Düsseldorf und vor 20 Jahren nach Nyjsund umgezogen. Hier betreibe ich ein Gästehaus mit Restaurant und einen Guideservice.
Corona hat sich überall in der Welt ausgebreitet, neulich las ich, dass der Norden Norwegens relativ verschont geblieben ist, stimmt das? Kannst Du etwas zu der Entwicklung und der aktuellen Situation sagen?
Ja, wir haben bis jetzt etwas Glück gehabt. Die ersten Fälle, die wir hier hatten, waren zurück kommende Urlauber, die aber sofort unter Quarantäne gestellt worden sind. Jetzt fängt es langsam an, das sich die ersten Menschen wirklich mit dem Virus hier oben anstecken. Wir leben generell sehr Isoliert und das macht es dem Virus natürlich schwerer. Daher hatten wir auch lange Zeit eine Reisebeschränkung für Südnorweger. Wenn die uns besuchen wollten mussten auch sie, wie alle anderen, die über das Ausland kamen in Quarantäne. Aber jetzt zur Reisezeit im Sommer erwarten wir schon eine größere Ansteckungswelle. Dafür bereiten wir uns zur Zeit vor. Auch in meinem Restaurant habe ich viel umbauen müssen um die Gäste und die Mitarbeiter zu schützen.
In Nordnorwegen sind die Krankenhauskapazitäten ja eher gering, hat man dort nicht große Sorge, dass es zu höheren Infektionszahlen kommt? Hat man innerhalb Norwegens Maßnahmen ergriffen? Ich habe gehört, dass man in Quarantäne kommt, wenn man nach Südnorwegen gereist ist. Gibt es dort Reisebeschränkungen?
Es gibt wirklich sehr wenige Krankenhäuser in Nordnorwegen und einer Ansteckungswelle wäre hier keiner gewachsen. Die „Südnorwegenquarantäne“ wurde an dem Tag aufgehoben als der Virus das erste mal hier aufgetreten ist, ohne das er in Verbindung mit einer Auslandsreise des Betreffenden gebracht werden konnte. Somit haben wir die Stufe 2 der Pandemie erreicht, was die „Südnorwegen-Quarantäne“ überflüssig machte, die an für sich auch rechtlich sehr fragwürdig war. Aber auch hier duldet man eher eine Rechtsbeugung, wenn es der Sache dient. Zum heutigen Tag gilt immer noch die größte Reisewarnung, auch innerhalb Norwegens. Dennoch reisen die Leute weit mehr als noch vor 2-3 Wochen.
Hat sich das Leben in kleinen Dörfern und Städten auf den Vesteralen irgendwie verändert? In Deutschland war eine ganze Zeit Klopapier der große Verkaufsschlager. Gibt es Artikel, die besonders gefragt waren oder jetzt schwieriger zu bekommen sind? In Deutschland muss man jetzt beim Einkaufen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln Masken tragen und Abstand halten, gibt es ähnliche Bedingungen oder Beschränkungen in Norwegen?
Was die Supermärkte angeht, gab es nie irgendwelche leeren Regale. Außer einmal; da war Gemüse knapp, aber das lag an verschneiten Weggen in der Hochebene, die die LKWs gestoppt haben. Aber „Coronabedingte“ Engpässe gab es nicht. Anders in Südnorwegen. Das einzige was ausverkauft war, was Desinfektionsmittel, aber das hat sich auch schnell verbessert. Ich habe den Eindruck, dass wir hier auf den Dörfern, wo wir eh schon isoliert leben, die Vorgaben der Regierung strenger umsetzen, als die Menschen in den Städten.
Hier auf den Dörfern geht man sich eh schon mehr aus dem Weg, sonst würde man ja nicht in ein einsames Dorf ziehen wollen. Und ich glaube allen ist auch die schlechte medizinische Versorgung im Ernstfall hier im Norden bewusst. Da will keiner war riskieren. Schutzmasken sind keine Pflicht, ich habe aber genügend für meine Mitarbeiter geordert bzw. nähen lassen. Es soll meinen Mitarbeitern auch die Verantwortung bewusst machen, die wir gegenüber unseren Gästen haben.
Italien und Spanien sind ja zum größten Teil noch Heute besonders zu Ostern Großabnehmer für Trockenfisch, kannst Du sagen, wie das in diesem Jahr gelaufen ist? Wurde Fisch weiterhin wie gewohnt exportiert, hat man andere Abnehmer gefunden oder ist die Fischerei dadurch in der Krise? Hat sich die Arbeitslosenquote dadurch erhöht?
Ersteinmal zur Arbeitslosenquote durch die Fischindustrie. Hier ist es genau so wie bei Teilen der Landwirtschaft in Deutschland. Es sind vorwiegend ausländische Saisonarbeiter, die hier arbeiten. Daher fällt es bei den Arbeitslosenzahlen gar nicht auf, wenn sie nicht ins Land kommen. Generell war die Fischsaison schlecht und es gab wenig Fisch. Auch gab es weniger Abnehmer, das stimmt. Die Industrie klagt aber genaue Zahlen habe ich grade nicht. Unser neuer Fischereiminister hat auch weitreichende Änderungen geplant. Daher ist die ganze Industrie ohnehin grade in Aufruhr.
Wie trifft die Krise persönlich? Du hast ja mehrere Übernachtungsangebote und ein Restaurant in Nyksund? Bekommst Du Hilfe von der Regierung?
Wir mussten auch von Heute auf Morgen schließen. Nicht vom Staat bestimmt, aber da keiner mehr Reisen durfte und Anfangs sogar nicht über die Grenze der Kommune fahren sollte, gab es für uns keine Grundlage länger aufzulassen. Somit wurden wir indirekt durch staatliche Beschlüsse geschlossen. Das hat jetzt aber auch Bedeutung bei der Staatshilfe. Ersteinmal möchte ich betonen das ich es sehr positiv finde, das der Staat schnell und relativ unkompliziert helfen will. Ich kann froh sein, in einem Land zu leben, wo sich der Staat eine so große Rettungsaktion leisten kann. Nur, dadurch das ich nicht, wie Friseurbetriebe oder Fitnessstudios aus Staatsanordnung geschlossen wurde, bekomme ich wesentlich weniger Unterstützung. Dann werden noch Eigenanteile usw. abgezogen, das am Schluss nicht zu viel übrig bleibt. Ich habe noch Glück dass ich über der Mindestauszahlungsgrenze liege und somit etwas Unterstützung bekomme. Viele Kleinbetriebe, bei den jede Krone zählt, liegen unter dieser Grenze und bekommen gar Nichts.
Wobei grade bei denen Kleinbeträge viel helfen würde. Der Staat verhilft einem auch zu guten Kredite, wobei der Staat für 90% des Kredits bürgt. Dadurch geben die Banken jetzt einfacher Kredite. Aber den sollte man auch nur beantragen, wenn man weiss, dass es weitergehen kann im Betrieb. Daher brauchen wir auch eine Aussage der Regierung wie der Tourismus im Sommer aussehen kann.
Vielerorts sieht man an Orten in der Lockdown-Zeit, dass die Natur sich ihren Platz schnell zurück holt und z.b. Wale oder Delfine in die Gewässer zurück kehren. Auch wenn die Vesteralen sicher zu den dichter besiedelten Plätzen gehören, habt ihr da Veränderungen gesehen?
Nun gut, wir hatten bis Anfang Mai noch Schnee. Da hat sich ohnehin nicht viel in der Natur getan. Und jetzt, wo der Schnee langsam weg geht sind auch alle wieder Draußen und Wandern, wie gewohnt. Daher hat sich hier nicht viel geändert. Zum 17. Mai, unseren Nationaltag wird normalerweise ganz Norwegen aufgeräumt. Da es aber immer noch Versammlungsverbote gibt, ist die Frage, inwieweit diese Aktionen dieses Jahr koordiniert durchgeführt werden kann. Hier kann dadurch eher eine negative Auswirkung geben. Aber ansonsten kann ich keine größeren Veränderungen sehen.
Kannst Du sagen wie viele Arbeitsplätze auf den Vesteralen ungefähr vom Tourismus abhängen? Hoffst Du darauf, dass Du in diesem Sommer wieder Gäste aus anderen europäischen Ländern empfangen kannst? Was wünschst Du Dir persönlich?
Ganz genau kann ich das nicht sagen. Direkt abhängig sind wohl um die 500 Arbeitsplätze. Aber auch indirekt profitieren die meisten Geschäfte vom Tourismus. Wir haben auf den Vesterålen 35.000 Einwohner. Allein in den drei Sommermonaten besuchen uns weit über 200.000 Gäste die natürlich auch Einkaufen, Tanken usw. Das stellt es großes Kaufvolumen da, auf das viele Zählen. Für meinen Betrieb wünsche ich mir natürlich eine Grenzöffnung. Aber wenn wir das Virus weiter so eindämmen wollen, wie bisher geplant wäre eine Grenzöffnung illusorisch und unverantwortlich. Daher bereitet sich auch die gesamte Tourismusbranche momentan nur auf den norwegischen Markt vor. Es gibt noch einige Partnerbüros in Europa, die ihre Buchungen weiterhin bestätigen aber es hagelt natürlich auch Abbestellungen. Jede Abbestellung ist ein Verlust für mich, dahinter steht aber auch die Existenz meiner Partnerbüros und wir hoffen alle zusammen durch diese Zeit zu kommen.
Danke Dir für dieses Gespräch! Ich wünsche Dir Alles Gute und hoffe, dass ich in absehbarer Zeit mal wieder in den Genuss komme Nyksund zu besuchen und die fantastische Fischsuppe und Waffeln zu kosten!
Weitere Tipps und Infos zu Nyksund und den Angeboten von Ssemjon:
Im Sommer ist der Ort Ausgangspunkt für den „Königinnenweg“, der hinüber nach Stø führt und im Winter ist Nyksund auch wegen der geringen Lichtverschmutzung ein ausgezeichneter Platz um Nordlichter zu beobachten.
Seit dem 7.5. gibt es auch in Norwegen Lockerungen im öffentlichen Leben: Die norwegische Tageszeitung „Dagsavisen“ informiert ausführlich zur aktuellen Situation: „Slik skal Norge åpnes igjen“
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