Dänemark Entdeckungen Städtetrips

Buntes Bornholm

Dänemarks Ostseeinsel legt im Frühjahr und Spätsommer gern Farbe auf. Hans Klüche, langjähriger Nordis-Autor für dänische Momente und leidenschaftlicher Bornholm-Fan, möchte eine Lanze für die Ostseeinsel im Frühjahr und Spätsommer brechen, wenn die Farben der bunten Dörfer und Städte mit denen der Natur wetteifern, wenn auch im schnuckeligsten Café immer ein Platz frei ist und sich die Milchstraße lange vor der Bettgehzeit am Himmel entfaltet.


Text & Fotos: Hans Klüche

Die Sonne hat ihr Tagwerk fast erledigt, als wir nach ruhiger Überfahrt von Rügen aus und einer ersten Stippvisite bei den vielfarbigen Fachwerkhäusern in der malerischen Altstadt von Rønne auf unser Ferienhaus hoch über Bornholms Ostküste zurollen. So liegt schon ein Hauch Abendlicht über den frisch gemähten Stoppelfeldern, gibt ihnen goldenen Glanz und lässt die roten Scheunentore eines weißgetünchten Vierkanthofes aufleuchten, der sich vor den dunklen Blautönen des Meeres abhebt. Ein paar Wolken ziehen noch schnell zur Seite, als wollten sie uns die Ankunftsfreude nicht trüben.

Bornholm überzeugt zu jeder Jahreszeit


Ich kann längst nicht mehr zählen, wie oft ich auf meiner Herzensinsel war, allein oder mit Familie und zu jeder Jahreszeit. Mal wie jetzt im Spätsommer, mal an wilden Herbsttagen oder in eisigen Wintern, wenn die Strände von Dueodde ganz im Süden noch weißer als sonst sind, weil Schnee den Sand bedeckt, und wenn Klippenwege im Norden gesperrt werden, weil Meeresgischt sie spektakulär mit Eispanzern überzieht. Herrlich sind die Frühlinge, die später als auf dem Festland, aber dafür umso heftiger kommen. In den ersten Maitagen entfachen sie ein Feuer der Blütenfarben und -düfte. Bornholms Nationalblume, eine weiße Anemone, überzieht dann die Waldböden, als läge noch Schnee. Dazu wetteifern pastellgelbe Schlüsselblumen und violettes Knabenkraut, die Orchideen des Nordens, bei ihrem »wer ist die schönste Pflanze im Land«. Nicht zu vergessen die wilden Kirschen, die Wald- und Wegränder geradezu verschneit wirken lassen und später von Vögeln und Touristen kahlgefressen werden. Dazu malen knallgelbe Rapsfelder unter strahlend blauem Himmel ihre Solidarität mit der Ukraine in die Landschaft – es gibt 1.000 Gründe, diese wunderbare Insel in ruhigeren aber nicht minder schönen Monaten des Jahres zu erkunden.

Weitblick vom Frühstück bis zum Hyggeabend


In unserem Ferienhaus geben hohe Fenster aus fast allen Zimmern und dem Wintergarten die Sicht frei über die Häuser der Küstensiedlung Bølshavn hinweg auf die Ostsee mit der historischen Festungsinsel Christiansø am Horizont. Diese Aussicht begeistert uns die ganze Urlaubswoche. Beim Frühstück in der Morgensonne mit frischen Brötchen und Bornholmer Sanddornmarmelade ebenso wie beim Hyggeabend mit einem Bornholmer Bier, wenn das letzte Sonnenlicht Christiansø noch einmal aufglühen lässt und später, wenn von dort der Leuchtturm mit beruhigender Regelmäßigkeit herüber blinkt und sich über uns ein atemberaubender Sternenhimmel mit grandios sichtbarer Milchstraße auffaltet, wie man ihn als mitteleuropäischer Stadtmensch kaum noch kennt – Bornholm kann auch Dark Sky. Das Häuschen ist bewusst gewählt, weil wir um diese Jahreszeit nicht auf die berühmten Badestrände im Süden der Insel aus sind sondern ihre kleinen Küstenorte und ihre kreativen Kunsthandwerker besuchen und ein paar Etappen der Bornholmer Wanderwege laufen wollen. Nur ein paar Schritte den Hang hinunter schlängelt sich am Meer der längst legendäre Kyststien entlang, Bornholms 120 Kilometer langer ›Einmal-rund-um-die-Insel-Küstenweg‹. Und Højlyngsstien, sein etwas mehr als halb so langer  Bruderweg durchs Inselinnere über typische Hochheiden und dichte Inselwälder, liegt nur ein paar Kilometer im Hinterland. Mit Auto und Bus lassen sich von unserem Standort aus auf beiden Langstrecken-Wanderwegen leicht A-to-B Etappen planen und laufen.

Volksfest statt Schickimicki-Event: Trabrennen


Unser Ferienhaus liegt außerdem perfekt für ein Eventerlebnis mitten im nahen Almindinger Wald, das bei keinem Inselbesuch fehlen sollte: Ein Abend auf der Trabrennbahn Bornholms Brand Park. Das hat nix von Schickimicki-Event aber viel von authentischem Volksfest. Während Lokalmatadore und ein paar ›Übersee‹-Jockeys im Sulky um kleine Preisgelder, Pokale und immer einen Blumenstrauß auf die mit nur 580 Metern kürzeste, professionell genutzte Trabrennbahn der Welt gehen, liefert das Rennbahnrestaurant ganz unprätentiös Würstchen, Pommes und üppig belegte Smørrebrød, die legendären Dänen-Schnittchen. Zudem wird bei Einsätzen ab 10 Kronen ‒ nur wenig mehr als ein Euro ‒ das Wetten zum kollektiver Familienspaß, auch wenn im Gegensatz zu den vielen mitfiebernden Einheimischen kaum ein Inselbesucher die Pferde und ihre Qualitäten kennt.

Kunsthandwerk triff Kulinarik in Svaneke


Wenn wir runter zum Ufer gehen, sind es nach links wie nach rechts nur jeweils ein paar Kilometer nach Gudhjem oder Svaneke, zwei malerische Orte, die im ständigen Wettstreit liegen, welcher der schönste der Insel ist. Über den Küstenweg könnten wir bis Svaneke in einer guten Stunde laufen, läge nicht hinter jedem Felsen ein anderes malerisches Fotomotiv, mal mit orangenen Farbtupfern der allgegenwärtigen Mehlbeeren, mal mit Rottönen der Hagebutten, dem Tiefdunkelrot reifer Fliederbeeren oder mit knallgrünen Äpfeln, die noch ein paar Sonnentage brauchen, um richtig reif zu werden. Dazwischen grasen oder käuen weiße Galloway-Rinder mit ihren auffällig schwarzen Nasen und Ohrenpuscheln – da läuft niemand vorbei, ohne diese kleinen Gemälde zu genießen. Dazu überall Bänke, perfekt positioniert für Momente, sich einfach mit einem Blick aufs Meer wegzuträumen. So wird Bummeln zum Tempo des Tages.


Svaneke mit seinem malerischen Hafen, der direkt an das Zentrum mit seinen bunten Fachwerkhäusern stößt, wirkt von Jahr zu Jahr eleganter. Sogar der Sauerteig-Bio-Bäcker Svaneke brød, bei dem ich morgens Brötchen hole, wirkt irgendwie sophisticated. Dazu gesellen sich Studios und Boutiquen mit feinem Kunsthandwerk von innovativem Studioglas und kreativer Keramik bis zu filigranem Schmuck und edler Mode, wie die der deutschen Designerin Timmi Kromann in ihrer Boutique Kokolores. Nicht zu vergessen die kulinarischen Genüsse von herzhaftem Hering, noch warm aus dem Räucherofen der Svaneke Røgeri, gern von einem Craft-Bier aus dem Svaneke Bryghus begleitet, bis zu süßen Verführungen aus der Bonbon-Manufaktur Bolcheriet, der Svaneke Chokoladeri am Marktplatzt Torvet, der Karamellkocherei Karamelleriet am Hafen und jener bescheidenen Lakritzmacherbude am Glastorvet, aus der die heute global agierende Marke Lakritz by Bülow entstanden ist. Samstags gibt’s als Bonus den in Vor- und Nachsaison eher kleinen, aber umso feineren Bauernmarkt, auf dem einige Stände ihre Produkte drapieren wie Kunstinstallationen.

Große Show mit heißen Requisiten


Richtung Gudhjem ist Baltic Sea Glass ein Muss-Stopp: Das Glas-Studio zählt zu jenen Akteuren, die Bornholms Kunsthandwerk zur Weltmarke gemacht haben. Wir haben uns für den Besuch einen Termin aus dem Inselkalender gepickt, an dem ein großes UNIKA Objekt geformt wird. Das ist spannendes Actiontheater mit über 1.000 °C heißen Requisiten. Ein Einakter, der ohne Verschnaufpausen gut eine Stunde dauern kann. Wenn sich dann die Tür des Abkühlofens schließt, gibt’s Beifall der Zuschauer und eine tiefe Verbeugung der Akteure. Ende der Vorstellung. Großartig!

In Gudhjem selbst, das sich um seinen malerisch in die Felsen geschlagenen Hafen schmiegt und von dort entlang schmaler Gassen einen Hang hinauf klettert, fühlten sich Künstler immer wohl. So der Expressionist und waschechte Bornholmer Oluf Høst. Sein ehemaliges Wohnhaus Norresân mit den Sommerateliers, die sich dahinter in einem zum Garten umgestalteten alten Steinbruch an den Granit klammern, ist heute das ambitioniert geführte Oluf Høst Museum. Wer Bornholm liebt, liebt Høsts Bilder, vor allem die vom Hof Bognemark, etwas außerhalb von Gudhjem, den er in jedem Licht und zu jeder Jahreszeit über hundertmal malte.

Über Kyststien zur Kunst


Solange man sich nicht einfangen lässt von Dines Lille Maritime Café und dem atemberaubenden Blick, den man dort von der Aussichtsterrasse auf Meer und Küsten hat, erreicht man von Gudhjem aus über Kyststien in gut anderthalb Stunden Bornholms Kunstmuseum. Dort trifft man wieder auf Bilder von Oluf Høst, weil er zur Gruppe der »Bornholmermaler« zählt. Die machten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die Insel zu einem Kunst-Hot-Spot und bilden einen Schwerpunkt in der Sammlung des Museums, ebenso wie die Kunsthandwerker der Gegenwart. Deren Werke zeigen in diesem Rahmen deutlich, dass sie längst Grenzgänger zur Kunst sind. Nicht von ungefähr wurde Bornholm 2017 als erste Region Europas und als erste Insel weltweit zur »World Craft Region« geadelt – in der Welt des Kunsthandwerks hat das etwa den Stellenwert eines Oscars für die Filmwelt.

Königsetappe um Hammerknuden


Drei kleine Hafenorte weiter nördlich starten wir neben der Badebucht von Sandvig auf die Königsetappe des Küstenwegs um Bornholms Nordspitze herum ‒ Hammerknuden Rundt. Immer in Tuchfühlung zum Ufer und mit bester Sicht auf den regen Schiffsverkehr draußen auf dem Meer führt der in einigen Auf-und-ab-Passagen recht rustikale Pfad vorbei am Leuchtturm Hammerodde Fyr und der Kirchenruine Salomons Kapel, steinernes Überbleibsel einer mittelalterlichen Heringsfänger-Siedlung, bis zum Hammerhavn. Zum Glück kommen wir noch rechtzeitig, um an Hammerhavns Kiosk eines der geschmierten Sandwiches zu goutieren – die haben kulinarischen Kultstatus auf der Insel. Damit gestärkt läuft es sich dann fast von selbst den Küstenweg hinauf durch ein windgekämmtes Wäldchen und oberhalb fantasieanregender Felsgebilde – sind es Löwen- oder Kamelköpfe? – zur größten Burgruine Skandinaviens, Hammershus. Das architektonisch genial im Gelände versteckte Hammershus Besucherzentrum erlaubt den besten Panorama-Blick auf die alten Mauern und macht über ihre wechselhafte Geschichte seit der Wikingerzeit schlau und das für lau. Hammershus, seine grandiose Kulisse und die Aussicht von den Mauern über das Meer bis zur schwedischen Küste zu genießen, ist für meine Frau und mich viel mehr als ein nur ein Reiseritual: Mitten in dieser prallen Geschichte haben wir geheiratet ‒ auch schon im letzten Jahrtausend.

Sonnenuntergänge, goldene Heringe und eine Mondlandschaft


Die imponierende Klippenküste von Bornholms Nordspitze setzt sich südlich der Burg noch etliche Kilometer fort. Wer nicht alles laufen will, kommt über eine kleine Nebenstraße zur Küste hinunter. Hier werden alte Granitbrüche als Zeugnisse Bornholmer Industriegeschichte gepflegt und Kletterer lieben ihre Steilwände. Die Mini-Hafenorte Vang, Helligpeder und Teglkås zeigen derweil pure Idylle und lassen an klaren Abenden die Farben des Sonnenuntergangs an den Hauswänden explodieren. Auf Genüsse für Auge und Geist setzt in Hasle, wo die Küste wieder flacher wird, auch Grønbechs Gård, Bornholms Center für Kunsthandwerk. Hier überschreiten beeindruckende Ausstellungen regelmäßig die Grenze zwischen Kunsthandwerks und großen Kunst mit außergewöhnlich designten Stoffen, Glasobjekten und Keramikskulpturen! Unten am Meer sind die Schlote der Hasle Røgeri nicht zu übersehen, die noch auf ganz traditionelle Art räuchert – kaum irgendwo sonst gibt’s den echten goldgelben Bornholmer Hering so authentisch wie hier! Wer nach all der Hygge, der Idylle, der Kunst und dem Kunsthandwerk mal einen harten Kontrast braucht, muss nur ein paar hundert Meter südlich der Räucherei erneut Richtung Meer abbiegen: Kultippen, eine extraterrestrisch wirkende Welt. Hoher Schwefelgehalt im Boden lässt auf der Abraumhalde eines vor Jahrzehnten eingestellten Braunkohleabbaus kein Pflänzchen leben und hat diese Mondlandschaft zu einem coolen Instagram-Spot gemacht ‒ noch eine überraschende Facette dieser Insel der abwechselnden Eindrücke.

Infos


Die erwähnten Attraktionen und Gastronomien haben in der Regel von Ostern bis Oktober geöffnet, außerhalb der Hochsaison (= dänische Sommerferien ca. letzte Juni-Woche bis Mitte August) aber nicht unbedingt jeden Tag – da empfiehlt es sich, bei der Ausflugsplanung einschlägige Netzquellen zu Rate zu ziehen wie die Onlineseiten der Tourismusorganisation Destination Bornholm, das Verzeichnis aller Kunsthandwerker der Arts and Crafts Association Bornholm und das Bornholmer Portal der Webseite open2day, die es auch als App gibt.  

Hin- und weg
Mit dem Schiff:
Bornholmslinjen mit Direktfähre ab Sassnitz-Mukran auf Rügen von Ostern bis Anfang Januar und mit zusätzlichen Fähr- oder Mautkosten tgl. ab Køge bei Kopenhagen und Ystad in Südschweden.
Per Flug: DAT Flüge tgl. ab Kopenhagen (CPH) und in der Saison auch ab Billund (BLL; ca. 90 Autominuten ab der deutsch-dänischen Grenze bei Flensburg).
Mit Bahn und Bus: Deutsche Bahn bis Sassnitz Stadt, ab dort Taxi zum Fährhafen, oder bis Kopenhagen, ab dort Fernbusse von Kombardo Expressen zum Fährterminal in Ystad; bei einigen Abfahrt wird der Bus übergesetzt.
ÖPNV auf der Insel: BAT mit dichtem Busnetz auf der Insel, Zeitkarten für 1, 4 oder 7 Tage helfen sparen.

Übernachten
Ferieøen Bornholm – The official guide mit Hotels, Pensionen, Hostels und Campingplätze auf der Seite der Touristeninformation von Destination Bornholm
DANSK.DE, das Portal der Ferienhausvermittlung Kröger + Rehn T 040 54 77 950 oder T 0800 358 75 28 mit der größten Auswahl an Ferienhäuser und -wohnungen auf der Insel, auch Buchungsservice für die Fähren.

NORDIS Buchtipp
Dänemark:
Wander- und Radführer Bornholm von Reinhard Kummer, Conrad Stein Verlag. 17 Tageswanderungen plus Kyststien in 7 Etappen sowie 6 Radtouren inkl. GPS Tracks zum Download, 5. Auflage 2024.

LESETIPP: Mit Schwerpunkt auf den jährlichen »Bornholm Craft Weeks« erschien von Hans Klüche im September 2022 ein weiterer Online-Artikel über Bornholm auf unser Webseite: www.skandinavien.de/insel-der-kreativen-bornholm.

Über den Autor

NORDIS Redaktion

Das Team der NORDIS Redaktion liebt es in gleicher Weise, mehrmals im Jahr tolle Magazine zu produzieren, die Leser mit qualitativ hochwertigen Publikationen und spannenden Storys zu unterhalten als auch hier - im Online-Bereich der NORDIS - regelmäßig neue Informationen und Artikel zu veröffentlichen.

Kommentieren

Klick hier um zu kommentieren