(c) Text & Fotos: Antje Neumann
Corona- Erfahrungsbericht aus Oulu, Finnland
Anfang März war hier in Finnland die Lage noch ruhig und man wunderte sich eher ein wenig über die Toilettenpapier hamsternden Mitteleuropäer – bis dann an 11.3. Corona zur Pandemie erklärt wurde. Noch am selben Abend gab es Panikkäufe und es verschwanden Klopapier, Hackfleisch, Tunfischdosen und Haferflocken aus den finnischen Supermarktregalen. Zumindest zeitweise. Mittlerweile quellen die Schränke der Hamsterer vermutlich über und die Regale in vielen Läden sind wieder aufgestockt.
Inzwischen gibt es die ersten Todesopfer. Landesgrenzen, Theater und Schulen sind dicht, Eishockeyspiele abgesagt, die südfinnische Region Uusimaa ist abgeriegelt, eine Rekordzahl an Beurlaubungen und Entlassungen steht bevor – und jeder hält den Atem an. Elämme erikoisia aikoja ist fast zum geflügelten Wort geworden. Gebannt folgt man den Nachrichten aus Süd- und Mitteleuropa. In Sachen Epidemie ist Finnland ein paar Wochen hinter Deutschland. Doch auch hier steigen die Zahlen rasch – und ebenfalls zunächst im Süden, in der Region um Helsinki. Insgesamt gibt es inzwischen (Stand 26.3.) 958 bekannte Fälle, davon 43 hier in Oulu. Wobei in Finnland jetzt nur noch schwere Fälle und Krankenhauspersonal getestet werden. Insofern wird die Dunkelziffer wesentlich höher liegen.
Die finnische Regierung konzentriert sich zurzeit auf den Schutz der Risikogruppen und darauf, möglichst viel Zeit zur Aufstockung der Behandlungskapazitäten zu gewinnen. Flatten the curve.
Ausnahmesituation
Stillstand in vielen Bereichen. Viele Unternehmen sind in Schwierigkeiten, vor allem die aus der Tourismusbranche, dem Sport- und Kulturbereich, Hotels und Restaurants, Frisöre und Fluggesellschaften.
„Wir mussten alle unsere Touren für diese Saison absagen“, erzählt mir Kaisa Peltomäki, Geschäftsführerin des örtlichen Tourenveranstalters Finnature. „Da die meisten unserer Vogel- und Naturfotografietouren im Frühling und Sommer stattfinden, geht damit ein Großteil unserer Jahreseinnahmen flöten.“ Wenigstens wurden die meisten Buchungen nicht storniert, sondern aufs nächste Jahr verschoben. „Somit haben wir zumindest klare Zukunftsaussichten. Andere, wie Restaurantbetreiber usw. können da nicht so konkret planen.“ Was tut man in so einer Situation, wenn man sich innerhalb von kurzer Zeit im Totalstopp befindet? „Als Unternehmer muss man immer weiterplanen“, meint Kaisa. „Für uns bedeutet das zum Beispiel, neue Konzepte zu planen und zu testen.“
Ich selbst habe dagegen bei meiner Arbeit bisher kaum Veränderungen erlebt – bis auf die Tatsache eben, dass wir vom Großraumbüro in Homeoffices umgezogen sind. Ich arbeite in einem großen Planungsbüro, Ramboll, das hier in Finnland rund 2500 Leute beschäftigt. Im Büro der Ouluer Filiale arbeiten etwa 180 Ingenieure, Architekten, Geographen, Geologen – und halt ich als Biologin.
Berichte, Gutachten und Texte zu Umweltverträglichkeitsprüfungen kann man zur Not auch am heimischen Küchentisch schreiben. Gruppensitzungen und Gespräche mit Kunden und Kollegen finden übers Internet statt. Solange es Aufträge gibt, kein Problem. Manchmal beginnt mir hier in der Küchentisch-Isolation nur etwas die Decke auf dem Kopf zu fallen. Allerdings wohl nicht nur mir: Gestern hat meine Kollegin Päivi eine Einladung zu virtuellen Kaffeepausen für unsere Umweltgruppe versendet. Mal sehen, wie das klappt. Und inzwischen beginnt auch die Zeit der Feldarbeiten – und die sind weit weg vom Küchentisch irgendwo mitten im Wald.
Zurzeit stehen hauptsächlich Flughörnchen- und Otterkartierungen an. Beides sind EU-Direktivarten, die streng geschützt sind. Wird also irgendwo etwas geplant, was Einfluss auf deren Lebensraum haben könnte – etwa ein neues Stadtgebiet, eine Umgehungsstraße oder ein Windkraftpark, so muss erst einmal einmal ein Biologe im Gebiet nachschauen, ob es dort Kötel oder Spuren im Schnee gibt.
Später, wenn Schnee und Eis geschmolzen sind, geht es dann weiter mit Moorfroschkartierungen, Fledermauskartierungen und Vegetationskartierungen. Vogelkartierungen mache ich nicht selbst, das kann mein Kollege besser. Manche Kartierungen finden hier in der Gegend von Oulu statt. Wegen einiger Projekte bin ich jedoch tage- oder wochenlang in den weiten Wäldern von Kainuu oder in den Wildnisgebieten von Lappland unterwegs. Normalerweise zumindest.
Nach der Dunkelheit kommt das Licht
Hier in Finnland wird dringend geraten, sich von anderen zu isolieren. Outdooraktivitäten sind allerdings bisher nicht nur erlaubt, sondern auch empfohlen – solange halt Abstand von etwa 2 m zu anderen Menschen gewahrt wird.
Jetzt Ende März/Anfang April passt das eigentlich ganz gut: Im nordischen Winterfrühling, wenn nach dem langen dunklen Winter endlich die Tageslänge über die Länge der Nacht gesiegt hat, tummeln sich bei guten Wetter eh sämtliche Oulaner auf dem Meereseis, in den Parks und auf den Loipen. Zu Coronazeiten, in denen sämtliche andere Freizeitmöglichkeiten ausfallen, sind umso mehr Leute draußen unterwegs.
Zum Thema gibt es seit dem 21.3. sogar ein Musikvideo: Der Musiker Jukka Takalo hat bei Martinniemi (ca. 20 km nördlich von Oulu) auf dem Eis das Musikvideo „Hajurako“ gemacht. Hajurako (direkt übersetzt „Geruchsspalt“) bedeutet Personal Space. Das ist so eine Sache, für die Finnen eh berühmt sind. Man ist hier nicht gerne eng auf eng. Weder in Busschlangen noch an der Kasse. Und jetzt zu Coronazeiten gilt es umso mehr: „Hajurako für dich, hajurako für mich, hajurako für uns, hajurako jetzt für alle“, heißt es im Refrain.
Zwiespalt zwischen Nord und Süd
Aber nicht immer funktioniert alles, so wie es soll – auch nicht in Sachen gesundheitsfördernden Outdooraktivitäten. Als es durch die Medien ging, dass die Skizentren Lapplands wegen der Corona Epidemie Ende März geschlossen werden sollen, ist es am 21.3. fast zu einem Verkehrsstau auf dem Nelostie, der Verkehrsader nach Norden, gekommen. März und April sind die beliebtesten Zeiten für Skiferien in Lappland: sowohl Skizentren, Abfahrtsski und Afterskiparties als auch Langlauf von Hütte zu Hütte und Feuerplätzen in den tief verschneiten Nationalparks.
Dieser Winter war dazu noch ungewöhnlich mild und in Südfinnland fast schneelos. Insofern haben viele Kurzentschlossene Skisachen, Familie oder Kumpels ins Auto gepackt und sind in Richtung Lappland losgedüst, um die letzte Möglichkeit auf einen Skiurlaub nicht zu verpassen.
Als Antwort auf die Nachricht vom sich nährenden Ansturm gab es einen lappländischen Aufschrei in den sozialen Medien: „Bleibt zuhause und bringt nicht Corona zu uns!“
Der Großteil der derzeitigen bekannten Infektionen sind zurzeit in Helsinki bzw. in der südfinnischen Region Uusimaa. In Lappland hat es bisher vereinzelte Fälle in Skizentren gegeben, ansonsten die Lage dort noch ruhig. Und man kann nur hoffen, dass es auch so bleibt: Das einzige Krankenhaus der Gegend liegt in Rovaniemi. Von Inari braucht man dorthin etwa vier Stunden, von dem 450 km entfernten Utsjoki etwa sechs. In den anderen größeren Orten Lapplands gibt es zwar Ärzte und Gesundheitszentren, doch alle sind relativ dünn besetzt und eher für die Behandlung der Lokalbevölkerung im Normalfall ausgerüstet, nicht für einen Ansturm coronakranker Urlauber und auch nicht für eine grassierende Epidemie. Die Reaktion auf die Staus auf den Straßen nach Norden war sowohl prompt als auch drastisch: Die Schließung der Skizentren wurde auf den 22.3. vorverlegt. Zusätzlich verschloss die Forstverwaltung Metsähallitus sämtliche Wanderhütten in den Nationalparks und die Wartung der Loipen wurde eingestellt. Inzwischen sind laut Medien viele Urlauber schon auf der Rückfahrt. Hoffentlich war die Notbremse die Rettung in Sachen Ausbreitung der Epidemie. Aber für den Tourismusbereich ist natürlich ein finanzielles Desaster.
Die Regierung hat diese Woche beschlossen, heute am 27.3. die Region Uusimaa um Helsinki für die nächsten Wochen abzuriegeln. Aus Arbeitsgründen soll man die Polizeisperren passieren können, aus Freizeitgründen nicht.
Jää kotiin, bleib zuhause, heißt der Slogan. Auch hier in Oulu. Zumindest viele meiner Freunde und Bekannten nehmen die Empfehlungen ernst, auf finnische Weise. Gegenseitige Besuche fallen aus und Facebook ist voll mit Bildern von Homeoffices, Homeschooling, selbstgekochtem Essen – und Touren auf dem Eis und in den Wäldern. „Elämä rauhoittuu, der Lebensrhythmus beruhigt sich.“ heißt es in den Bildunterschriften. Für wie lange, wird sich zeigen.
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