Bild & Text © abenteuerreich: Ein Rückblick auf die letzte Trekkingtour in Norwegen aus der Sicht des Guides Jan Reich.
Der Süden von Norwegen: Ich fahre mit dem Auto von Stuttgart nach Dänemark und nehme die Fähre über Nacht. Für mich ist es eine »normale Fahrt«, um günstig viel Ausrüstung nach Norwegen zu bekommen. In Zahlen bedeutet es: 14 Stunden plus Tankstopps vom Süden Deutschlands bis an die höchste Spitze Dänemarks in einem Rutsch. Ausruhen kann man sich die Nacht über in der kleinen Kabine auf der Autofähre von Fjord Line.
Das Mautgerät fehlt, die Gäste kommen…
Früh am nächsten Morgen komme ich im Hafen von Stavanger an. Mein Mautgerät kam nicht rechtzeitig an, und nun versuche ich, über Nebenstraßen den Mautstellen aus dem Weg zu gehen. Dies funktioniert leider nicht, Monate später kommen die Rechnungen – und das Mautgerät. Ich komme am gebuchten Hotel am Stadtrand an, lade die Ausrüstung aus und verwandle mein Hotelzimmer in einen Outdoorladen. Jeweils zwei Gäste erhalten leihweise ein Trekkingzelt von MSR, Gaskartuschen, Besteck und Becher, Kocher, Wasserfilter von Katadyn; unterschiedliches Expeditionsessen z.B. Treck & Eat wird sortiert. Am späten Abend hole ich die Gäste vom Flughafen ab, und wir besprechen die Tour in meinem Hotelzimmer. Die Ausrüstung wird verteilt – und alle verschwinden in ihren Zimmern, um ihre Rucksäcke für die Trekkingtour zu packen.
Ein steiler Weg nach oben
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück fahren wir zum Lysefjord. Eine kurze Autofähre passieren wir, bis wir nach ca. einer Stunde am Ausgangspunkt des Fjordes angekommen sind. Wir steigen in die kleine Personenfähre, die uns bis zum alten Wasserkraftwerk bringt.
4.444 Stufen gehen im Sommer entlang der alten Wasserrohre den Berg hinauf. Im Sommer. Jetzt ist es April, und die Berge im Süden des Fjordes sind noch mit Schnee bedeckt.
Wir beginnen den Aufstieg und zählen die ersten Stufen. 500, 1.000, 2.000 – und dann sehen wir den Schnee, wie er auf den Stufen liegt. Die erste Zeit kann man noch erahnen, wo die Stufen langgehen. Ich trete aber immer öfter in Hohlräume und bin mir sicher, keinen Kontakt mehr zu den Stufen zu haben.
Steile Passagen kommen auf uns zu. Jetzt bloß keinen Fehler machen. Um das Risiko zu minimieren, beschließe ich, nicht direkt hochzugehen, sondern stattdessen einige Kehren zu nehmen. Die Gäste hinter mir sollen Abstand halten, um keine Lawine auszulösen. Jeder Schritt bedeutet einen Tritt mit meinen Bergschuhen in den festen Schnee. Ich schwitze enorm und bin sichtlich erleichtert, als es flacher wird und wir nach etwa fünf Stunden den Stausee am Ende der Treppen erreichen. Den Trekkingpfad kann man hier nur noch an wenigen Stellen erahnen, und ab und zu blinkt einem das »rote T« als Wegmarkierung entgegen. Für heute ist Schluss, wir bauen unsere Zelte auf Schnee und Felsplatten auf, kochen Wasser und essen unser Abendessen im Zelt, da es sehr windet. Ich liege im Zelt und bin platt nach dem Tag. Im Schnee spuren ist eine Sache, aber steile Wege nach oben eine andere.
Schnee, Seen und Schneehühner
Zweiter Tag der Trekkingtour. Wir befinden uns auf einem Hochplateau und werden die nächsten Tage zwar ständig hoch und runter gehen. Aber es werden nie mehr als 500 Höhenmeter sein. Da noch viel Schnee liegt (bis zu 2 Meter), sehen wir vom Sommerpfad nicht viel.
Daher suche ich – auch gerade angesichts der Lawinengefahr – nach einer gefahrlosen Alternative, die meist nie weit weg vom Normalweg ist. Die nächsten Tage kommen wir an vielen zugefrorenen Seen vorbei und sehen fast täglich Schneehühner. Da der Schnee zusammengesackt ist, sinken wir nur wenige Zentimeter ein. Bis auf einige Ausnahmen, wo ich teilweise bis fast zur Hüfte einsinke und in dem Moment alles verfluche. Jeden Abend suchen wir nach einer sicheren Biwakstelle für unsere Zelte – mit einer schönen Aussicht. In der Nähe soll sich idealerweise ein Bach befinden.
Am eingeklemmten Stein
Am vierten Tag der Tour kommen wir morgens am »Kjeragbolten«, dem eingeklemmten Stein, an. Wir müssen ziemlich lange suchen, denn jeder von uns hat die Bilder aus dem Sommer im Kopf. Wir finden den Stein, aber an ein Besteigen wie im Sommer ist nicht zu denken: Viel zu gefährlich ist der Plan, da der Stein teilweise mit Schnee bedeckt ist und eine meterhohe Schneewand wie ein Gletscher darüber hängt. Wir machen Fotos und genießen die Einsamkeit. Seit Beginn der Tour haben wir niemanden getroffen. Unser heutiges Ziel ist das kleine Dorf am Ende des Fjordes, wo wir eine Nacht auf dem Campingplatz in kleinen Hütten übernachten werden. Es sind fast 1.100 Höhenmeter, die wir absteigen. Die Knie tun uns weh. Wir laufen auf der gesperrten Autostraße, die sich durch den Berg mit vielen Tunneln bohrt. Im oberen Teil der Straße machen wir ein Gruppenfoto vor einer über 4 Meter hohen Schneeschicht. Am Campingplatz angekommen, schmeiße ich eine teure Runde norwegisches Bier. Alle genießen die warme Dusche, laden ihr Handy auf und lüften ihre Ausrüstung aus.
Alles ist feucht und sumpfig…
Am nächsten Tag fahren wir mit der Katamaran-Fähre bis »Bratteli«, einer kleinen Anlegestelle. Eigentlich ist es nur ein Steg vor einer Felswand.
Ein kleiner Pfad schlängelt sich durch den Wald, bis wir wieder 600 Höhenmeter weiter sind. Im nördlichen Teil des Fjordes liegt kein Schnee mehr, da die Berge niedriger sind. Wir freuen uns, dass wir schneller vorankommen und auch wieder auf Bergwegen laufen können. Nachteil: Alles ist feucht und sumpfig. Das merken wir vor allem, wenn es um einen schönen und trockenen Platz für die Nacht geht. Meist sind die Stellen so moosig und nass, dass wir beim Stehen einsinken und das Wasser emportritt. Es dauert, bis wir eine Stelle finden. Sogar Feuer können wir an diesem Abend machen.
Hilfe, Menschen!
Am sechsten Tag müssen wir Wildbäche durchqueren. Der ein oder andere schafft es zur Belustigung der restlichen Gruppe nicht auf dem trockenen Weg. Am Nachmittag treffen wir schlagartig wieder auf Menschen, wir sind am Preikestolen angekommen. Trotz Nebels sind hier Tagestouristen, die den breiten Weg von Westen in nur wenigen Stunden zu einer der berühmtesten Sehenswürdigkeiten Norwegens hochgewackelt sind.
Wir machen ein paar Fotos und wollen die Kanzel schnell wieder verlassen. Die »vielen« Leute sind uns unangenehm, viele unterschätzen die Gefahr, am Rand der Kanzel zu stehen (immerhin geht es hier über 600 Meter direkt bis zum Fjord runter). Es herrscht Gedränge, die Leute sind laut und hinterlassen überall ihren Müll. Wir suchen uns abseits eine letzte Stelle, um unsere Zelte aufzubauen, und genießen den Blick über die Hügel bis hin nach Stavanger.
Ein letztes Mal Frühstück aus der Tüte.
Wir steigen ab, werden abgeholt, huschen ins Hotel, nehmen eine Dusche, und am Nachmittag schlendern wir durch die schöne Hafenstadt Stavanger. Nach einem Abschlussessen geht es für die Gäste am nächsten Vormittag zum Flughafen. Meine Fähre geht erst am Abend, da sind meine Gäste schon zu Hause. Ich lasse alles Revue passieren und düse am nächsten Tag nonstop nach Hause, um meine kleine Familie in meine Arme schließen zu können. Nächstes Jahr komme ich wieder und zeige den nächsten Gästen einen einsamen und wunderschönen Lysefjord im April.
Jan Reich, Bergwanderführer und Eigentümer von abenteuerreich Erlebnistouren
Hier noch einige Impressionen unserer Tour:
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