Allgemein Norwegen

Wie geht es weiter in 2021? Ein Rückblick und der Versuch eines Ausblicks – Norwegen

Manchmal ergibt es Sinn, über den eigenen Tellerrand zu schauen, um die eigene Situation besser verstehen und vielleicht auch ertragen zu können. 2020 war das Jahr, in dem nicht nur viele Reiseträume zerplatzten, sondern sich viele Unternehmen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sahen und sich ständig neuen Herausforderungen stellen mussten. Die Corona-Pandemie hat nicht nur eine gesundheitliche, sondern auch eine wirtschaftliche Seite: Viele Unternehmen erleiden Schlagseite.

Ich habe mich dieses Mal mit zwei Menschen unterhalten, die in Norwegen leben und im Tourismusbereich arbeiten, und sie befragt, wie sie 2020 empfunden haben und was sie für 2021 erwarten.

Im europäischen Vergleich ist das Land, das den langen Weg nach Norden im Namen trägt, bisher relativ gut durch Pandemie gekommen. Das Lieblingsland vieler Deutscher hat lange Zeit selbst zu seinen direkten nordischen Nachbarländern die Grenzen dicht gehalten. Die Befürchtungen der norwegischen Regierung, dass man in den dünner besiedelten Regionen mit wenigen Krankenhausbetten der Wucht einer starken Corona-Welle nicht gewachsen wäre, sind einfach zu groß. Die Vorgaben der norwegischen Regierung waren im Jahr 2020 entsprechend streng, Norwegen war für die meisten Europäer nur für wenige Wochen im Jahr zu bereisen! Allerdings reisten viele Norweger in den kurzen Sommermonaten im eigenen Land und sorgten in einigen Regionen für einen regelrechten Ansturm, von dem einige, aber längst nicht alle Betriebe und Regionen profitierten. 

Da Norwegen ein sehr langgestrecktes, facettenreiches Land ist und es zwischen den dicht besiedelten Städten im Süden und den einsamen Regionen große Unterschiede gibt, habe ich dieses Mal zwei Gesprächspartner gewinnen können. Während das Leben im Norden Norwegens aktuell relativ normal seinen Gang geht, hat man in den Städten im Süden größere Einschränkungen. Zudem ist es sicher auch interessant zu erfahren, wie es mit den Schiffen der Hurtigruten weitergehen wird. 

Beginnen wir in dem kleinen Ort Nyksund auf den Vesterålen im Norden Norwegens.

Guten Tag, Herr Gerlitz. Wir haben uns ja im Juni schon einmal kurz über die aktuelle Situation unterhalten (hier geht es zum Artikel). Daher bin ich froh, dass wir noch einmal über das vergangene Jahr und die Erwartungen für 2021 reden können. Möchten Sie sich unseren Lesern noch einmal kurz vorstellen?

Ssemjon Gerlitz: Hallo, Herr Pantke. Mein Name ist Ssemjon Gerlitz, gebürtig aus Hilden, bei Düsseldorf. Ich lebe seit über 20 Jahren in Nyksund, einem kleinen, ehemaligen Fischerdorf auf den Vesterålen, nördlich der Lofoten. Hier betreibe ich ein Gästehaus mit Restaurant und einen Guide-Service.

In Deutschland und in vielen anderen Ländern hat man zurzeit wieder einen Lockdown. Wie muss ich mir das Leben auf den abgelegenen Vesterålen im Moment vorstellen?

Ssemjon Gerlitz: Abgesehen von den strengen Auflagen im Tourismus geht das Leben hier relativ normal weiter. Es gibt auch hier Abstandsregeln, eine maximale Personen-Anzahl im Einkaufsladen und seit Weihnachten auch Beschränkungen im privaten Bereich, was die Besucheranzahl angeht. Jetzt gerade ab der ersten Januar-Woche wird auch empfohlen, sich zusätzlich so wenig wie möglich mit Freunden in privaten Räumen zu treffen. Man sieht vereinzelt Menschen mit Maske, aber das ist eher die Ausnahme. Wir hatten seit Herbst ein paar Corona-Ausbrüche, wobei ganze Schulen und Wohngegenden unter Quarantäne gestellt wurden. Diese Ausbrüche konnten wir jedoch schnell in den Griff bekommen. Die Menschen hier sind eigentlich sehr diszipliniert. Das, was am meisten diskutiert wird, sind die Besuche im Krankenhaus und in den Altersheimen. Hier gelten natürlich sehr strenge Kontrollen und Besuchszeiten.

Mit welchen besonderen Problemen hatten und haben Sie zu kämpfen? Ist die Saison unter Corona-Bedingungen nach Ihren Erwartungen gelaufen? Im Sommer las man, dass viele Norweger das erste Mal ihr Heimatland erkundet haben und auf den Nachbarinseln der Lofoten der Ansturm groß war. Hat man davon auf den Vesterålen auch etwas gemerkt?

Ssemjon Gerlitz: Als Übernachtungsbetrieb hatten wir generell kaum Einschränkungen in unserer Bettenanzahl. Wir haben nach norwegischer Vorschrift generell ein gutes Hygienekonzept, was wir lediglich anpassen mussten. Was unser Restaurant anging, mussten wir von 35 Stühlen auf 20 zurückgehen. Was schon ein deutlicher Kapazitätsverlust war, aber immerhin durften wir geöffnet haben. Das Frühstücksbuffet musste zum personalintensiven Individualfrühstück umgewandelt werden, und wegen Platzmangels mussten unsere Gäste sich auf feste Frühstückszeiten einlassen. Dafür, dass im Großen und Ganzen so gut wie keine Ausländer nach Norwegen kommen konnten, war in den ersten 3 Wochen im Juni so gut wie nichts los. 

Das änderte sich dann mit den norwegischen Gemeinschaftsferien ab Ende Juni. Von einem Tag auf den anderen waren wir täglich komplett ausgebucht, und in unserem Restaurant standen die Gäste Schlange. Unsere Wäscherei konnte wochenlang nur ein Minimum an Wäsche liefern, und wir waren darauf angewiesen selbst zu waschen. Da keiner mit diesem Ansturm gerechnet hatte, fehlte in vielen Betrieben das Personal. So auch bei uns. In der Hochsaison standen wir ab 7 Uhr in der Küche und haben produziert, um ab 13 Uhr nonstop Essen rauszugeben. Bis zum Abend waren wir komplett leergekauft. Unser Großhändler konnte auch vieles nicht mehr liefern. Nur an frischem Fisch gab es keinen Mangel, da die großen Abnehmer weltweit nicht wie üblich eingekauft hatten, und somit die Fischindustrie generell Abnahmeprobleme hatte. In der Hochsaison hatten wir einmal Gäste gehabt, die nur in Hotels gewohnt und durch die Restaurantsituation drei Tage lang keinen Platz in einem Restaurant gefunden hatten. Die waren bereit, jeden Preis zu zahlen, um endlich einmal warmes Essen zu bekommen. Diesen Andrang hatten wir dann bis in die zweite Augustwoche, danach ging es schlagartig zurück. Zwischenzeitlich durften Ausländer, so auch Deutsche, nach Norwegen einreisen, und wir hofften auf eine gute Endsaison. Doch die Einreisebestimmungen änderten sich schnell wieder, und sämtliche Buchungen bis Ende März 2021 wurden seitens der Kunden storniert.

Bekommen Sie staatliche Unterstützung, um die Krise zu überstehen? Viele Unternehmen im Tourismusbereich kämpfen um ihr Überleben und mussten andere Wege gehen, um zu überleben. Was machen Sie zurzeit, um über den Winter zu kommen?

Ssemjon Gerlitz: Staatliche Unterstützung gab es im Frühjahr 2020 und kann jetzt auch wieder beantragt werden. Leider immer nur rückwirkend für die letzten Monate, und grade mal ausreichend, um die wichtigsten Rechnungen zu bezahlen – doch besser als gar nichts. Unsere Lobbyverbände haben es durchgesetzt, die Mehrwertsteuer immer noch auf einem niedrigen Niveau zu halten, und der Staat versucht über »Innovasjon Norge« Firmen bei der situationsbedingten Umstrukturierung zu helfen. Allerdings ist es für kleine Firmen nicht so leicht, an diese Gelder ranzukommen, da ganze Projekte erstmal mit Eigenkapital vorfinanziert werden müssen, bevor Staatsgelder ausgezahlt werden. Dieses Geld zur Vorfinanzierung hat kaum ein kleines Unternehmen übrig. Es wird viel unternommen, damit Betriebe ihre Mitarbeiter nicht ganz verlieren, und grade die kommunale Verwaltung hilft mit allen Kräften, uns kleine Betriebe zu unterstützen. Teils mit direkten Aufträgen, teils mit erleichterten Möglichkeiten, Projektgelder zu beantragen. Unser Rathaus hatte jedem Betrieb ein paar Stunden bei einem Finanzberater gesponsert, der uns bei der Beantragung von staatlicher Unterstützung helfen sollte. In Nyksund konnten wir als Gemeinschaft zur Weihnachtszeit sogar einen kleinen Weihnachtsmarkt aufbauen. Der ganze Ort hat mitgemacht! Damit konnten wir die Besucherzahl regulieren und es war uns möglich, den Markt unter Corona-Bedingungen erfolgreich durchzuführen. 

In den nächsten Wochen fungiert mein Betrieb als Quarantänehotel für die einreisenden Gastarbeiter in der Fischindustrie. Aber auch Touristen dürfen bei uns ihre 7-10 Tage Quarantäne verbringen. Generell ist es allerdings schwierig, im Voraus zu planen, da auch die norwegische Regierung in kurzen Intervallen ihre Richtlinien anpasst. Bis zum Sommer wollen wir unsere Zimmer wochen- und monatsweise vermieten, gerne auch an Touristen, die zuerst ihre Quarantäne bei uns verbringen, und sich dann länger hier in der Gegend aufhalten möchten, um bspw. Projekte am Computer fertigzustellen. Homeoffice auf den Vesterålen, mit mehr Bewegungsfreiheit am Feierabend, als es in Ballungszentren möglich ist.

Wie sind Ihre Erwartungen in Bezug auf das Reisejahr 2021? Erwarten oder hoffen Sie, dass sich das Reisen im Sommer 2021 wieder normalisiert? Eine kleine Bevölkerung wie die der Vesterålen wird man wahrscheinlich schnell impfen können – insofern dürfte das Ziel der »Herdenimmunität« schneller erreichbar sein, oder?

Ssemjon Gerlitz: Ich gehe davon aus, dass auch 2021 so ablaufen wird wie 2020. Also, dass die Grenzen weitgehend geschlossen bleiben und die Norweger weiter in ihrem eigenen Land Urlaub machen. Auch wenn Impfstoffe zur Verfügung stehen, denke ich nicht, dass sich das merklich positiv auf den kommenden Sommer auswirken wird. Was das Impfen der Bevölkerung angeht, gilt in Norwegen das Gleichheitsgebot. Es gibt 7 Kategorien, in welcher Reihenfolge die Bevölkerung geimpft werden soll. Zuerst waren Angestellte im Gesundheitssektor nicht priorisiert (Gleichheitsgebot), doch das hat sich nun geändert. Ansonsten wird der Impfstoff gleichmäßig über das Land verteilt. Die lokale Impfstation in der Kommune ist aufgebaut und betriebsbereit, und die ersten Impfdosen sind bereits angekommen. Bei 5.000 Einwohnern haben wir nun bei der ersten Zuteilung 20 Impfeinheiten bekommen. Also auch hier wird es sich lange hinziehen, bis alle geimpft sind.

Wenn der Sommer kommt, welche drei Aktivitäten oder Plätze würden Sie Besuchern von Nyksund und Umgebung unbedingt empfehlen? Ich möchte schon anführen, dass man auf jeden Fall die legendäre Fischsuppe testen sollte.

Ssemjon Gerlitz: Danke! Ja, unsere Fischsuppe werden wir glücklicherweise immer anbieten können. Wer auf die Vesterålen kommt, sollte auf jeden Fall einen unserer schönen Berge erklimmen oder die bekannte ‚Dronningruta‘ (Königinnen-Weg) wandern. Diese schöne Wanderung beginnt direkt vor unserer Haustür und bietet tolle Ausblicke. Auch im Sommer 2021 wird es die Walsafari unter Corona-Auflagen geben, die sich mitzumachen lohnt, und wir hoffen, dass das neue Hurtigruten-Museum in Stokmarknes eröffnen kann. Nach jahrzehntelanger Planung ist dafür ein altes Hurtigruten-Schiff komplett umgebaut worden. Das Museum zeigt die (Gründer-)Geschichte der Hurtigrute, die hier auf den Vesterålen ihren Anfang genommen hat.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, der sich nicht auf die Corona-Pandemie bezieht, welcher wäre das?

Ssemjon Gerlitz: Es ist schwierig, heute einen Gedanken zu fassen, der nichts mit Corona zu tun hat, denn allzu gegenwärtig ist das Virus zurzeit. Doch was ich daraus gelernt habe ist, dass wir unsere technischen Errungenschaften noch deutlicher zum Positiven nutzen sollten als vorher. Gerade hier auf den Vesterålen fährt man mehrere Kilometer für irgendwelche Meetings. Corona hat gezeigt, dass vieles online erledigt werden kann, obwohl natürlich der persönliche Kontakt generell trotzdem wichtig ist. Die Vesterålen haben sich zu einer Region etabliert, in der Nachhaltigkeit Groß geschrieben wird. Wir selbst haben seit 2020 mit dem Umweltsiegel »Eco-lighthouse« zertifiziert, worauf wir sehr stolz sind. Wir haben der Natur in der Pandemie eine Atempause verschafft, und ich wünsche mir, dass, wenn wir unser Alltagsleben nach der Pandemie wieder aufbauen, wir das weit mehr im Blick auf die Natur tun als je zuvor. Der wichtigste Platz, um sich in der Pandemie treffen zu können, war und ist irgendwo in der Natur. Die gilt es also weiterhin zu schützen. In diesem Sinne schöne Grüße von den Vesterålen.


Wir gehen nach Südnorwegen und unterhalten uns mit einer Person, die uns die Situation in Oslo, der größten Stadt Norwegens, beschreibt und gleichzeitig ausführt, wie die Lage bei der legendären »Postschiffroute« entlang der norwegischen Küste aussieht.

Guten Tag, Frau von Gutthenbach-Lindau. Würden Sie sich bitte kurz vorstellen?

Alexandra von Gutthenbach-Lindau: Als gebürtige Rheinländerin kam ich der Liebe wegen 2013 nach Oslo und gründete mein kleines Tourismus-Unternehmen. In der norwegischen Hauptstadt veranstalte ich seitdem außergewöhnliche Stadttouren, die sich weniger an spröden Jahreszahlen orientieren, als vielmehr an Anekdoten und Geschichten rund um Oslo, denn viele Sehenswürdigkeiten der Stadt halten Lustiges und Ungewöhnliches bereit. Darüber hinaus bin ich bis zu zwölfmal im Jahr als Reiseleiterin für Hurtigruten an der norwegischen Küste unterwegs. 

Ich habe mich vorher mit Herrn Gerlitz von den Vesterålen unterhalten. Dort schien das Leben im dünn besiedelten Norden relativ normal weiter zu gehen. Ich vermute, dass die Unterschiede zur Großstadt auch in Norwegen groß sind. Wie muss man sich das Leben zurzeit in Oslo vorstellen?

Alexandra von Gutthenbach-Lindau: Bis Oktober wurde auch in Oslo alles relativ entspannt gehandelt und nach dem Lockdown im März/April ging schnell wieder alles seinen gewohnten Gang, natürlich mit Abstand und Hygienekonzepten. Maskenpflicht bestand jedoch nie. Seit Oktober sind nun in Oslo die Corona-Regeln angezogen worden, nach wie vor sind aber Geschäfte und Restaurants geöffnet, allerdings darf zurzeit kein Alkohol ausgeschenkt werden. Viele Restaurants haben deshalb ihren Betrieb temporär eingestellt. Geschäfte haben zum ersten Mal eine maximale erlaubte Anzahl Kunden, die sich zur gleichen Zeit dort aufhalten dürfen, und auch eine Maskenpflicht wurde in öffentlichen Verkehrsmitteln, Geschäften und öffentlichen Gebäuden eingeführt. Darüber hinaus gibt es Beschränkungen der privaten Kontakte. Auch die Arbeit im Homeoffice wurde wieder verstärkt empfohlen, wird aber im volldigitalen Norwegen schon immer gut genutzt. Trotz des Virus fand auch der Weihnachtsmarkt in Oslo statt, mit weniger Ständen als üblich und Einlasskontrolle und auch die Schlittschuhbahn gab es 2020 nicht, aber man konnte wie gewohnt Riesenrad fahren und sich einen Gløgg und Süßes oder Herzhaftes schmecken lassen. Im Vergleich zu anderen Ländern ist das immer noch ein eher entspannter Umgang mit dem Virus, aber im Verhältnis zum übrigen Norwegen hat Oslo die strengsten Corona-Regeln. Das ist im Wesentlichen der Einwohnerzahl geschuldet, denn Oslo ist mit Abstand die größte Stadt Norwegens und war auch im Verlauf der Pandemie immer wieder Hotspot. Update (25. Januar): Aufgrund der Virusmutation aus Großbritannien zieht die Regierung nun in Oslo und neun weiteren Kommunen die Beschränkungen an. Für zunächst eine Woche schließen Geschäfte und Restaurants und zum ersten Mal auch die staatlichen Alkoholläden Vinmonopolet. In Oslo unterscheiden sich daher nun die Einschränkungen deutlich von der Handhabung in den ländlichen Gegenden Norwegens. Die Schließung der Alkoholläden führten in Oslo in den letzten Tagen dazu, dass sich die Einwohner umfangreich bevorratet haben. Der Umsatz lag am letzten Verkaufstag um 120% über den Verkaufstagen der Woche davor. 

Sie arbeiten im Normalfall als Reiseleiterin an Bord der Hurtigruten-Schiffe. Wie hat die Corona-Pandemie ihre Arbeit konkret beeinflusst? Bekommen Sie als Selbstständige Unterstützung durch den Staat?

Alexandra von Gutthenbach-Lindau: Die Corona-Pandemie hat mir seit März einen Umsatzausfall von 100 % beschert, da mein Job von ausländischen Touristen abhängig ist. Durch die Reisebeschränkungen von März bis Juli kam der internationale Tourismus vollständig zum Erliegen und infolgedessen fielen auch alle meine Hurtigrutentouren dem Virus zum Opfer. Neue Hoffnung gab es dann im Juli, als die Grenzen wieder geöffnet wurden und ich das Glück hatte, zwei Touren fahren zu dürfen und so für vier Wochen die Möglichkeit hatte, Geld zu verdienen. Auf den Schiffen gab es ein umfangreiches Hygienekonzept, die Auslastung betrug coronabedingt 60 % der üblichen Passagierzahl, sodass der Abstand ohne Probleme gewährleistet war. Ein- und Ausstieg wurden geordnet reguliert, im Restaurant nur jeder zweite Tisch besetzt und die Buffets wurden durch serviertes Essen ersetzt. Hinzu kam tägliches Fieber messen. Alles in allem wurde das Hygienekonzept von den Gästen sehr positiv bewertet. Ende August war jedoch alles wieder vorbei, da in den meisten europäischen Ländern die Infektionszahlen anzogen und eine Einreise nur noch mit Quarantäne möglich war. In punkto staatliche Unterstützung lief es weniger optimal. Da mein Unternehmen in Deutschland sitzt und auch dort Steuern abführt, war auch Deutschland in dieser Beziehung mein Ansprechpartner. Hier zeigte sich jedoch schnell, dass der Staat kein besonderes Interesse daran hat, Branchen, die nicht systemrelevant sind, nennenswert zu unterstützen. Im Wesentlichen lebt mein Unternehmen von den Rücklagen. Nach dem Motto »Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner« habe ich das turbulente Jahr 2020 mit all seinen emotionalen Höhen und Tiefen und immerhin fünf durchgeführten Hurtigrutentouren in mein Buch »Das verflixte Corona-Jahr – als Reiseleiterin zwischen Hoffnung und Verzweiflung« gefasst, und es stellte sich heraus, dass ich mit diesem Buch an den Erfolg meiner vorherigen sechs Bücher anknüpfen konnte. Dafür bin ich sehr dankbar. 

Momentan ist der Fahrplan ja sehr ausgedünnt, viele Orte im hohen Norden in der Finnmark sind aber per Schiff im Winter wesentlich einfacher zu erreichen als mit dem Auto. Gibt es dort jetzt Versorgungsprobleme? Was macht man mit den Schiffen, die jetzt nicht gebraucht werden?

Alexandra von Gutthenbach-Lindau: Es gab in Norwegen eine umfassende Diskussion des Versorgungsauftrags, den Hurtigruten für Nordnorwegen leistet. Der Staat subventioniert Hurtigruten bis heute, um die Versorgung der Bevölkerung sicher zu stellen. Nachdem im September der Tourismus wieder weitestgehend eingestellt wurde, reduzierte die Reederei auch wieder die Anzahl der Schiffe, die an der Küste verkehrten. Lediglich zwei Schiffe bedienten die Häfen zwischen Bodø und Kirkenes. Das ist kaum verwunderlich, wenn der Umsatz durch die Touristen gänzlich ausbleibt. Gerade in Nordnorwegen spielen die Schiffe jedoch gerade im Winter eine entscheidende Rolle, wenn es zum Beispiel darum geht, die Versorgung mit Medikamenten sicher zu stellen. Nicht selten sind die Straßen gen Norden im Winter aufgrund der Schneemassen gesperrt und auch der Flugverkehr wird mitunter erheblich beeinträchtigt. Im November einigte sich Hurtigruten mit dem norwegischen Verkehrsministerium darauf, dass ab 1.1.2021 wieder fünf Schiffe zwischen Bergen und Kirkenes verkehren, um eine konstante Versorgung der nordnorwegischen Bevölkerung zu gewährleisten. Die Schiffe, die im Moment aufgrund der fehlenden Touristen nicht zum Einsatz kommen, liegen zurzeit in Bergen und warten auf ihre Reaktivierung. 

Wie sind Ihre Erwartungen in Bezug auf das Reisejahr 2021? Erwarten oder hoffen Sie, dass sich das Reisen im Sommer 2021 wieder normalisiert und wenn ja wann in etwa?

Alexandra von Gutthenbach-Lindau: Es wäre illusorisch, im Tourismus für das Jahr 2021 eine Normalisierung zu erwarten, daher rechne ich auch im laufenden Jahr mit erheblichen Verlusten. Das erste Quartal ist sicherlich abzuhaken und auch für den April rechne ich nicht mit einer wesentlichen Entspannung. Ich kann mir aber vorstellen, dass im Mai die Zahlen deutlich sinken werden aufgrund der Tatsache, dass es wieder wärmer wird und die Menschen sich wieder mehr draußen aufhalten. Mit einem wirklichen Start rechne ich im Juni und bis Herbst ist man dann hoffentlich mit den Impfungen so weit, dass sich der Tourismus beginnt zu normalisieren. Insgesamt wird es allerdings noch bis mindestens Ende 2022 dauern, bis wir zu einer wirklichen Normalität zurück gekehrt sind. 

Sie kennen ja als Reiseleiter die norwegische Küste sehr gut. So manch einer hat seine Lieblingsplätze, an die er/sie immer wieder gern zurückkehrt. Auch wenn die Wahl schwer fällt, welche drei Plätze würden Sie wählen?

Alexandra von Gutthenbach-Lindau: Das ist in der Tat eine schwere Frage, da Norwegen unendlich viel zu bieten hat. Ganz vorne sind für mich auf jeden Fall die Lofoten. Ich mag die Schroffheit der Inselgruppe und wie das raue Wetter des Atlantik sie geformt hat. Eine der schönsten Provinzen ist für mich Møre og Romsdal mit dem großartigen Hjørundfjord, der für mich zu den schönsten von Norwegen zählt. Aber auch die Atlantikstraße und der Aursjøvegen gehören für mich zu den absoluten Naturhighlights dieser Provinz und nicht zu vergessen die Romsdalsalpen. Møre og Romsdal hat sich bei der Entstehung Norwegens vor Millionen Jahren bei den Naturattraktionen ganz vorne angestellt. Ein Highlight ist für mich auch die Grenze Jakobselv direkt an der Barentssee ganz im Norden. Hier ist man wirklich am Ende der Welt, und obwohl die Eiszeit alle nennenswerten Berggipfel sorgfältig zu Plateaus abgeschliffen hat, ist die Landschaft faszinierend, so karg und so ursprünglich, und was mich dort am meisten fasziniert: Wer sich hier auf eine der Klippen setzt und den Mund hält, hört absolut nichts – etwas, was es ja für die urbanisierte Menschheit kaum noch gibt. Nirgendwo kann man besser entspannen als an diesem Fleckchen Norwegens.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, der sich nicht auf die Corona-Pandemie bezieht, welcher wäre das?

Alexandra von Gutthenbach-Lindau: Gibt es noch Wünsche außerhalb von Corona? Ich glaube, die Pandemie hat uns eins gelehrt. Im Leben geht es nicht um Konsum und darum, immer mehr Besitz anzuhäufen. Die Pandemie hat uns gelehrt, wieder in uns hineinzuhorchen und dort Genuss zu bewahren, wo Routine Einzug gehalten hat. Vieles hat man vor der Pandemie als selbstverständlich erachtet und darüber vergessen, wie wichtig und essentiell die kleinen Dinge des Lebens sind. Freunde zu treffen, überhaupt Kontakte zu pflegen, zu reisen, Freiheit zu genießen. Ich glaube, dass viele Menschen diese existenziellen Dinge jetzt mehr zu schätzen wissen und ich hoffe, dass wir sie in absehbarer Zeit wieder erleben dürfen. Vor allem wünsche ich mir, dass wir sie auch in Zukunft absolut immer genießen und schätzen, denn wir haben jetzt gesehen, wie schnell nichts mehr so ist wie es vorher war. 

Infos

  • das erwähnte Buch zum Schicksal eines Reiseleiters im Jahr 2020, kauft man am besten beim lokalen Buchhändler. Diese Infos sollten helfen: Das verflixte Corona-Jahr: Als Reiseleiterin zwischen Hoffnung und Verzweiflung – Ein Tagebuch, Autorin: Alexandra von Gutthenbach-Lindau, ISBN-13: 9783752645491

Über den Autor

Reinhard Pantke

Der Globetrotter Reinhard Pantke (Jahrgang 67) erlebt seine Reiseziele grundsätzlich nur mit Fahrrad und Rucksack. Im Verlauf dieser Touren legte er in den letzten gut 35 Jahren insgesamt 200.000 km per Fahrrad und ohne Motor zurück. Seine besondere Liebe gehört dem Norden, seine allererste Radtour führte ihn 1983 als 17-jährigen nach Norwegen. Neben Artikeln in regionalen und überregionalen Zeitungen und Magazinen, Kalendern, Buchbeiträgen und Ausstellungen ist Reinhard Pantke auch Autor verschiedener Bildbände über Norwegen und Kanada. In normalen Jahren zeigt er im Winterhalbjahr seine Multivisionsshows einem breiten Publiikum. Für Nordis hat er er etliche Berichte über seine Lieblingsregionen verfasst.

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