In diesen Zeiten wünscht sich ja so manch einer eine Insel, die so weit weg wie nur irgend möglich von Allem und möglichst dünn besiedelt ist, und die man am besten nur mit dem Flieger oder Hubschrauber erreicht. Reinhard Pantke war im Sommer 2019 in Grönland unterwegs und hat eine Insel erkundet, die diesen Ansprüchen mehr als gerecht wird. Ausnahmsweise war er mal ohne Fahrrad zwei Monate mit Rucksack, Schiff und anderen Verkehrsmitteln unterwegs und nimmt uns mit auf eine einzigartige Insel an der Westküste Grönlands.
Bilder und Text: © Reinhard Pantke
Die rote Insel
Vier Stunden dauert die Bootsfahrt von Ilullisat nach Qeqertarsuaq (Anmerkung des Autors, früher „Godhavn“). Die kleinen, knapp 30 Personen fassenden Boote fahren vorbei an gewaltigen Eisbergen über die Disko Bucht. Immer wieder reduziert der erfahrene Kapitän die Geschwindigkeit, um Zusammenstöße mit dem „schwarzen Eis“, dem fast unsichtbarem Treibeis zu vermeiden. Irgendwann taucht dann aus dem dichten Nebel eine Insel auf, die klar vulkanischen Ursprungs ist. Das teils rote Gestein und die Basaltformationen stehen in starkem Kontrast zu den riesigen Eisbergen, die direkt vor der Insel im relativ flachen Wasser der Bucht „festhängen“.
Der Hauptort „Qeqertarsuaq“ war seit dem 18. Jahrhundert Ausgangspunkt für Expeditionen, Walfänger, Minenort und später zeitweise Verwaltungsort für weite Teile der grönländischen Westküste. Die Insel ist mit ihren über 8.500 qkm fast dreimal so groß wie das Saarland und hat nur ca. 900 Einwohner, die überwiegend in einer Siedlung leben. Weit abseits auf der anderen Seite gibt es noch eine kleine abgelegene Siedlung mit 30 Grönländern.
Im Winter, wenn die Eisdecke der Disko Bay geschlossen ist, erreicht man das Eiland monatelang nur mit dem Helikopter und bei schlechtem Wetter tagelang überhaupt nicht. Die Insel ist übrigens der einzige Ort, an dem man auch im Sommer Hundeschlittentouren machen kann. Deren Ausgangspunkt erreicht man nach einer langen Tageswanderung über den Gletscher. Übernachtet wird danach auf dem Gletscher in einer einfachen Unterkunft.
Eine raue Welt
Der aus Walknochen geformte Torbogen, den man durchläuft, wenn man mit dem Boot auf der Disko Insel ankommt, wirkt auf mich wie das Tor zu einer anderen Welt. Auch hier sehe ich vor den vielen bunten Holzhäusern noch die Schlittenhunde, deren Anzahl aber insgesamt rückläufig ist. Bitte diese Hunde nicht verwechseln mit Haushunden: Schlittenhunde sind halbwild und ganzjährig draußen, egal ob es Minus 30 Grad oder Plus 20 sind. Die Hunde werden von den Grönländern als Arbeitstiere betrachtet, sie lieben ihre Tiere einerseits, aber andererseits sieht man sie als „unnütze Esser“ wenn sie nicht mehr arbeiten können, viele werden kaum älter als 10 Jahre. Für Europäer eine vielleicht schwer zu verstehende und zu ertragende Einstellung. Man sollte den Hunden auch nie zu nahe kommen!
Hinter den Häusern dümpeln die riesigen Eisberge wie Raumschiffe einer fremden Invasionsarmee in der weiten Bucht. Die umliegenden Gletscher an der Westküste sind noch heute Geburtsstätte von Eisbergen, die von der Strömung im Sommer weit nach Süden getragen werden und es bis zu den Küsten Neufundlands schaffen. Einer dieser Eisberge soll einst der Titanic zum Verhängnis geworden sein.
Es gibt einen großen Supermarkt, der fast Alles verkauft, von Lebensmitteln über Bekleidung bis hin zu Waffen, die für die Jagd eingesetzt werden. Luxus und eine große Auswahl sucht man hier vergeblich. Wer sich darüber wundert, dass Waffen im Supermarkt verkauft werden, sollte bedenken, dass eine Robbe oder ein Moschusochse eine willkommene Abwechslung zum, besonders im Winter, monotonen Speiseplan sind. Denn im Winter ist der Ort monatelang nur per Helikopter erreichbar, die Versorgungsschiffe kommen erst im April wieder durch das aufbrechende Packeis. Auch hier werden die Zeiten in denen die Schiffe nicht durchkommen wegen des Klimawandels immer kürzer!
Noch vor ein oder zwei Generationen ging es den Menschen hier eher ums Überleben. Noch heute findet man frisches Obst und Gemüse nur in der wärmeren Zeit des Jahres, da das Einfliegen von Obst oder Gemüse viel zu teuer wäre. Der Chef der kleinen Herberge sagt mir, dass z.B. eine Banane oder ein Apfel, die im Winter eingeflogen werden müssten, einen Stückpreis von 2 bis 3 Euro hätten.
Schwarze Strände, bunte Gräber und ein besonderer Fußballplatz
Vieles auf der Insel fühlt sich so surreal an, dass ich an den Film „Truman Show“ denke, in dem der Hauptdarsteller irgendwann bemerkt, dass die gesamte ihm bekannte Welt eigentlich nur eine Filmkulisse ist. Am nächsten Tag zeigt das Thermometer 20 Grad im Schatten an und ich laufe im T-Shirt kilometerweit auf dem schwarzen Sandstrand entlang. Auf dem Strand liegen große Eisstücke, die hier bei jeder Flut stranden. In den Nächten hörte ich, wie einige Stücke unter donnerndem Getöse ins Meer fielen.
Hinter dem Ort ist auch der Friedhof: In Grönland sind Friedhöfe oft die buntesten Orte und die Gräber sind mit zahllosen Kunstblumen, weiter im Süden auch mit Naturblumen geschmückt! Man ehrt die Toten, indem man ihnen Farbe gibt in einer schwarz-weißen Welt. Ein paar hundert Meter weiter liegt unweit des Strandes ein Kunstrasenplatz. Für die kickende Dorfjugend sind die Eisberge dahinter Alltag und ich überlege, ob man die kleine Tribüne nicht besser in Richtung Meer gedreht hätte und ob hier ab und zu auch mal Eisbären zuschauen ….
Nach knapp 2,5 km endet der einzige Fahrweg der Insel, und Wanderwege führen tiefer in die Wildnis. Auf Wanderwegen gehe ich am „roten Fluss“ entlang, der seine Färbung durch das Vulkangestein bekommt, immer weiter in die Berge hinein. Ich staune über die relative Vielfalt an Pflanzen, die man hier noch findet, Zwergbirken, arktische Weidenröschen und einiges andere sieht man hier in Miniaturformat in den kurzen Sommermonaten. So gibt es hier auch eine dänische Forschungsstation, welche die Pflanzenwelt und Geologie der Insel seit 1906 erforscht.
Am nächsten Tag überzieht dichter Nebel die Insel und ein Grönländer bringt mir, als ich ihn frage, ob das Boot zurück nach Ilulissat fahren wird, das meist genutzte grönländische Wort bei! „Immaqa“ bedeutet so viel wie „Vielleicht“. Nichts ist hier sicher und als Mitteleuropäer lernt man, dass die Natur noch heute hier oft jeden Plan zunichtemachen kann und man geduldig sein muss.
Die Disko Insel ist, auch wenn ich im Laufe meiner vielen Reisen einiges gesehen habe, ein ganz besonderer Platz weit abseits von Massentourismus, der so surreal ist, das er sicher zu den schönsten Erlebnissen der Reise gehört! Hier lernt man jenes kindliche Staunen wieder, das uns nur allzu oft verloren gegangen ist ….
Infos:
- https://visitgreenland.com/de/destinationen/qeqertarsuaq/ Info zur Insel
- https://hoteldiskoisland.com/ verschiedene Unterkünfte und Exkursionen
- https://www.kria-tours.de ist Grönlandspezialist und bietet auch individuelle Reisen an.
- https://www.skandinavien.de/corona-in-groenland-oder-wie-isoliert-man-sich-an-einem-der-isoliertesten-plaetze-der-welt/ Artikel über die aktuelle Situation in Grönland
- www.reinhard-pantke.de Seite des Autors mir vielen Bildern und Infos
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